Man fand einst in Saas-Almagell in einer Hütte einen fremden Toten. Ohne Zweifel hatte er im Winter diese hohen und wilden Berge passiert, hatte sich, von Kälte und Strapazen erschöpft, in diese Hütte geschleppt und war dort eingeschlafen, um nimmer zu erwachen. Weil man aber nicht wusste, ob er ein Christ oder ein Heide gewesen, so begrub man ihn im Sand, nicht fern der Hütte. Leute, die nicht lange nachher da vorübergingen, sahen, dass eine Hand des Toten hervorblickte, und sie hörten nicht weit davon ein Vöglein wunderschön singen. Man scharrte die Hand wieder unter die Erde; aber bald darauf schaute ein Fuss des Toten heraus. Auch dieser wurde unter den Boden geschoben. Sooft man da vorüberkam, schaute bald ein Fuss, bald eine Hand aus dem Grabe hervor. Umsonst versuchte man, sie mit Erde zu bedecken; und immer hörte man auch in der Nähe ein Vöglein wunderschön singen.
Da kam man auf den Gedanken, den Toten wieder auszugraben und ihn auf die Friedhofmauer der Pfarrkirche zu legen. Diese Mauer hatte die Eigenschaft, zu enträtseln, ob die auf den Bergen gefundenen Toten katholisch oder nichtkatholisch seien. Dies geschah auf folgende Art: Wurde die Leiche, die man auf die Mauer legte, während der Nacht auf einen Raum ausserhalb des Gottesackers geworfen, so hielt man sie für nichtkatholisch, fand man sie aber am Morgen auf geweihtem Erdreiche, so nahm man an, der Verstorbene sei katholisch gewesen.
Am Tage darauf fand man diese Leiche zur allgemeinen Freude fast mitten auf dem Friedhofe. Das war ein gutes Zeichen, und man durfte sie auf geweihter Erde beisetzen.
SAAS-ALMAGELL
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch