Unterhalb der Rötifluh, dem Dorfe Randa gegenüber, stand am Wege ein kleines, steinernes Muttergottesbild.
Als einmal jemand dort betete und nicht augenblicklich Erhörung fand, wurde er unwillig und bewarf das Bild mit Kot. Das Bild fing an zu weinen. Er bewarf es noch einmal. Da hob es sich hoch hinauf in die Felsenwand, so dass kein Mensch mehr dahingelangen konnte. Die Talleute verdross das sehr; denn sie hatten das Bild liebgehabt und hätten’s gerne wieder unten verehrt. Aber der Felsen war zu steil, und keiner vermochte daran emporzuklimmen, und eine Leiter, die zu solcher Höhe reichte, gab es nicht. Da beschlossen die Leute von Randa, einen Bittgang auf die Höhe des Felsens zu veranstalten.
Grad über dem Felsen wurde an starken Seilen ein Mann hinuntergelassen. Schon war er nahe dem Bilde, als er sah, wie das Seil immer dünner wurde, so dünn wie ein Bindfaden. In dieser Angst, er müsse in den Abgrund fallen, schrie er: «Ziehet auf!» Die andern hörten aber nicht darauf und liessen ihn immer noch weiter hinab. Jetzt war der Mann beim Bilde, jetzt hätte er es erfassen können, da war aber das Seil so dünn geworden wie ein Haar, und er schrie nochmals: «Um Gottes willen, zieht auf, sonst bin ich verloren!» Da zogen die Männer ihn hinauf, und je weiter er aufwärts kam, desto dicker und stärker wurde der Strick. Heute ist das Bild an der Wand freilich nicht mehr zu sehen, aber die Sage lebt im Volke noch fort.
RANDA
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch