Am 29. September ist das Fest des heiligen Michael. Da feiert Stalden das Patronatsfest der Pfarrei. Das war schon früher so. Einmal hatten sich auch anlässlich dieses Festes eine ganze Anzahl Geistlicher im Pfarrhause zusammengefunden. Da die kirchlichen Feierlichkeiten vorbei waren, sass man gemütlich beisammen, plauderte und erlaubte sich auch einen Spass.
Gewohnheitsgemäss traf an diesem Tage auch ein Tölpel von Stalden im Pfarrhause ein. Kaplan Abgottspon war am heutigen Tage besonders guter Stimmung und fragte den Narren: «Sag einmal, welcher von diesen Geistlichen ist der ,leideste‘ (wüsteste)?» Ein grinsendes Lachen, aber keine Antwort. Der Fragesteller fuhr weiter: «Ich gebe dir einen Batzen, wenn du es sagst!» - «Ja nun, wenn Sie es gerade wissen wollen, Sie selbst sind es», gab der Tölpel zur Antwort und nahm dankbar den Batzen zur Hand. Alle lachten nun Herrn Abgottspon aus. Dieser fühlte sich durch die erhaltene Antwort keineswegs beleidigt, denn er hatte sie so erwartet; das grelle Lachen seiner Mitbrüder aber stach ihm doch ins Herz, und er entfernte sich aus der Pfarrstube. Kurz darauf trat er wieder zur Türe herein. In den Händen trug er ein bis an den Rand mit Wasser gefülltes Weidenkörbchen und stellte es auf den Tisch. Kein einziger Tropfen rann heraus. Dann wandte er sich an die Anwesenden: «Jetzt kann einer der hübschen Herren den Korb mit dem Wasser wieder hinaustragen!» Keiner wagte es. Da fasste er selbst den Korb in die Hände, und im Hinausgehen flüsterte er: «Viele schöne Herren, aber wenig Geistliche!»
STALDEN
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch