Im Jahre 1388, den 23. Christmonat, erlitt der Graf von Savoyen in Visp eine bedeutende Niederlage. Viele tausend Feinde verloren dort das Leben. Über diesen Sieg erzählt die Sage folgendes:
Graf Amadeus von Savoyen kam mit vielem Kriegsvolk das Land herauf bis vor Visp. Er verlangte, man solle sich ergeben, ihm Einlass in die Bürgschaft gewähren und Gehorsam schwören, sonst werde er alles verbrennen und niedermachen. Die guten Leute erschraken sehr, denn sie waren zum Krieg schlecht bereit und schlecht gerüstet.
Sie begehrten darum in der Angst drei Tage Bedenkzeit, nicht als wollten sie sich freiwillig übergeben, sondern um so mehr Zeit zu gewinnen. Und die Savoyer gaben ihnen die verlangte Bedenkzeit, machten Quartier an der Vispe und warteten auf Antwort.
Die Visper sandten eilig um Hilfe ins Tal hinein und nach Goms und Brig und verhielten sich sonst mäuschenstill damit die Feinde nichts merkten. Als aber die dritte Nacht kam, mit der die Bedenkzeit ausging, wurde in der Burgschaft alles lebendig. Die gerufene Hilfe kam an; nur die Briger verspäteten sich und kamen erst, als der Handel fertig war. In die Burgschaft wurde Wasser eingeleitet, das in der grossen Winterkälte zu Eis gefror und Wege und Stege ungangbar machte. In den Werkstätten und in mancher Küche schmiedete man emsig spitzige Fusseisen und Schuhnägel, um auf dem Eise sichern Stand zu bekommen. Man bereitete grosse Holzklötze und mit Steinen schwer beladene Wagen, an die man noch schneidende Instrumente befestigte, um sie über das Eis in die feindlichen Scharen hinabrollen zu lassen. Selbst die Frauen waren nicht müssig und hatten vollauf zu tun; sie trieben den Schmieden eifrig die Windbälge, brachten Kohlen und Eisen herbei, verteilten die gespitzten Eisen und Schuhnägel unter die Krieger und halfen geschäftig alles rüsten und zum Angriff vorbereiten. Sie trugen auf dem Rücken noch Wasser herbei, um Eis zu machen an Stellen, wo das Wasser durch Leitungen nicht hingeführt werden konnte. Man arbeitete mit solchem Eifer und solcher Hast, dass sieben Männer den Anstrengungen erlagen.
Als der Tag anbrach, war alles schlagfertig. Da wollte man, wie versprochen, den feindlichen Offizieren die wegen Kälte in einem Stadel logierten, Antwort bringen. Man nahm ein Lamm, dem band man die vier Füsse zusammen, öffnete behutsam die Stadeltüre, warf es hinein zum Morgengruss, und mit solcher Hast und Eile wurde die Türe wieder mit einem Reisteisen verrammelt, dass einer dem andern den Daumen von der Hand abstiess. Darauf legte man Feuer an den Stadel, und die Flammen stiegen hoch auf. Noch zu den Dachlatten heraus schrien die Offiziere um Gnade; aber es ward keine gegeben. Armdick rann das geschmolzene Gold und Silber aus dem Stadel zur Erde hinab.
Unterdessen griffen auch die übrigen wohlgerüsteten Krieger, auf dem Eise sicher einherschreitend, das feindliche Kriegsheer an und trieben auf dem glatten Boden grosse Holzstämme und schwer beladene, mit schneidenden Instrumenten versehene Wagen in die Reihen der Feinde hinein. Auf dem schlüpfrigen Eise hatten die Savoyer keinen Stand und stürzten zu Boden, wo sie entweder erschlagen oder in die Vispe gestürzt wurden. Der Sieg war vollständig.
Zum Andenken an diese Schlacht setzte man im Zenden Visp den Mittwoch vor Weihnachten, "Mannenmittwoch" genannt, als Festtag ein. Noch heute wird jedes Jahr an diesem Tag in der Sankt-Martini-Kirche für die Helden ein feierliches Totenamt gelesen.
VISP
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.