Das Natterloch, wovon Naters seinen Namen haben soll, befand sich eine kleine Strecke östlich des Dorfes. In dieser Felsenhöhle lebte vor alten Zeiten ein greulicher Drache, der ringsum, selbst vom Brigerberg herab Menschen und Vieh durch seinen giftigen Atem anzog und verschlang. Einem zum Tode Verurteilten versprach man deshalb, ihm das Leben zu schenken, wenn er die Gemeinde von diesem Ungeheuer befreie. Er liess sich eine Lederkleidung anfertigen, umgab sie ringsum mit schneidenden und stechenden Werkzeugen und ging dann mit einem scharfen Schwerte und einem Dolche dem Drachen entgegen. So tapfer sich der Kämpfer auch gegen den Drachen verteidigte: er wurde doch vom giftigen Atem, der ihn aus dem Rachen der Natter anwehte, so betäubt, dass er überwunden und verschlungen wurde. Aber Gott, den er vorher inbrünstig angerufen, verliess ihn nicht. Die schneidenden Waffen, mit denen der Mann umgeben war, durchschnitten und durchstachen die Eingeweide der Natter, so dass er sich mit Hilfe des Dolches einen Ausweg aus dem Bauche verschaffen konnte. Wie er nun aus dem scheusslichen Grab erstanden und den Drachen tot zu seinen Füssen liegen sah, zog er seine ledernen Handschuhe aus und hob dankend seinen von Gift getränkten Dolch zum Himmel empor. Aber in diesem Augenblick fiel von dem furchtbaren Nattergift ein Tropfen auf seine Hand, und dieser Tropfen gab ihm den Tod.
NATERS
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch