Ein Kaplan von Ernen, Bartlome Jost, ging einst in den Ernerwald hinauf, um da die Messe zu lesen. Schon eine Zeitlang hatte er gewartet, denn sein Messdiener hatte sich verschlafen. In der Hoffnung, der Knabe werde sofort kommen, ging er in die Sakristei, bekleidete sich mit den heiligen Gewändern und schritt an den Altar. Aber der Messdiener kam nicht, und lange wartete der Geistliche an den Stufen des Altars. Endlich wollte er sich wieder in die Sakristei begeben, um die Messkleider auszuziehen und einen Messdiener zu suchen.
Wie er vom Altar wegschreiten wollte, sieh, da trat ein älterer gutgekleideter Mann, den er nicht kannte, an den Altar heran, kniete sich an den Stufen nieder und betete mit ihm die Stufengebete und diente ihm bis ans Ende der Messe.
Als der Kaplan nach der Messe die Kleider und Geräte der heiligen Messe in die Sakristei an ihren Platz gelegt hatte, eilte er hinaus, um dem Unbekannten zu danken. Dieser war ihm etwa einen Steinwurf des Weges voraus. Wie der Kaplan nun schneller ging, um ihn einzuholen, lief der seltsame Messdiener auch schneller, ging der Kaplan langsamer, tat der Unbekannte desgleichen.
So gelangten sie in immer gleichem Abstand bis nach Ernen auf den Friedhof. Hier stellte sich der Fremde auf einen Grabhügel und sprach: «Ihr wollt mir danken; das ist nicht nötig, das Danksagen ist an mir; ich bin ein Verstorbener und durch die heutige Messe im Ernerwald erlöst worden.»
ERNEN
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch