In Münster wirkte lange ein Pfarrer, Ägidius Werlen mit 20 Namen. Er hatte auch Gesinde, zwei Knechte und zwei Mägde, denn er betrieb ein ansehnliches Bauerngut und konnte wohl bis an die zwölf Kühe wintern.
Dieser Pfarrer verliess in der Nacht oft seine Wohnung und begab sich auf den Friedhof. Dort betete er lange und sprach mit den armen Seelen der Pfarrei, denn er wusste von allen Abgestorbenen, die während seiner Amtszeit verschieden waren, wo sie sich in der Ewigkeit befanden.
Nur bei zweien war es ihm nicht bekannt.
Das Gesinde beobachtete natürlich die Gewohnheiten des Pfarrers, und Knechte und Mägde besprachen untereinander, wie sie dem Geheimnis auf die Spur kommen könnten. Ein Knecht stellte sich als Spion bereit und meinte: «Da will ich doch schauen, was der Pfarrer jede Nacht draussen zu tun hat.»
Und richtig, in der folgenden Nacht verliess der Kilchherr wieder das Haus. Er überschritt den Kirchenplatz und ging die Friedhofmauer entlang auf den Friedhof: der andere ihm nach. Als der Knecht auf der Mauer angelangt war, stand der Pfarrer schon mitten auf dem Friedhof, rings umgeben von einer unzähligen Schar armer Seelen.
Der Knecht staunte und wusste nicht recht, ob er träume oder wache; da löste sich plötzlich eine arme Seele aus ihrem Kreise und schoss auf ihn zu. Der gute Knecht wurde ohnmächtig, erholte sich aber nach kurzer Zeit wieder und schlich heim ins Bett.
Am andern Tage hoffte er, der Pfarrer habe von diesen Vorgängen nichts gemerkt. Aber der Pfarrer rief ihn gleich nach dem Mittagessen zu sich und warnte ihn, das nächste Mal dürfe er nicht mehr so "gwundrig" sein. Hätte er gestern auf dem Friedhof nicht gewehrt, die armen Seelen hätten ihn "zerribe und zerstibe wie ds Gstip i der Sunne!"
MÜNSTER
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch