Bevor die Berner ins Goms einfallen wollten, hielten sie beim Spittel auf der Grimsel Kriegsrat, wie das Goms am besten einzunehmen wäre. Da habe ein Berner Krieger erklärt: «Wie wir ins Wallis hineinkommen, wissen wir wohl; aber nicht, wie herauskommen. Es tut darum Not, vor allem dieses in Betracht zu ziehen!» Dieser wohlgemeinte Rat wurde aber überhört, und die Berner stürmten mit raschen Schritten über die Grimsel. Den Ort aber, wo jener Rat erteilt worden war, nannte man später "Rätischboden".
Die Berner fielen sengend über die Gemeinden Oberwald und Obergesteln her und steckten sie nachher in Brand. Verängstigt flohen die Bewohner nach Ulrichen. Hier stand Thomas In der Binen (oder Thomas Riedi) und sammelte die wehrfähige Mannschaft um sich. Er selbst war ein Riese von Gestalt. Er hüllte sich in ein Bärenfell ein, und als Waffe diente eine Eisenstange, die aus sieben Reisteisen zusammengeschmiedet war. So begab er sich mit seinen Getreuen im geheimen in die Arzerschlucht beim Oberbach. Von hier aus konnte er die Berner, die dort wenig Platz zum Kämpfen hatten, unvermutet anfallen; die ganze Ebene war damals noch sumpfig.
Als die Berner in Oberwald genug geplündert hatten, zogen sie ordnungslos gegen die Arzerschlucht hin. Plötzlich wurden sie angegriffen und sahen sich auf dem Tuetschiboden von den Wallisern überrascht. Thomas In der Binen schlug mit seiner fürchterlichen Waffe mehrere Berner auf einmal nieder. Kein Feind konnte ihm etwas anhaben. Was aber mit Kraft nicht gelang, musste List ersetzen. Ein Berner stellte sich tot, legte sich unter die Verwundeten und Toten, und als Thomas In der Binen über ihn hinwegschritt, schlitzte er ihm den Bauch auf, so dass die Eingeweide hervordrangen.
Die Übermacht der Berner wurde drückend. Darum liess unser Anführer die Truppen zurück auf die Höhe ziehen, denn die Schwyzer, die mit den Bernern verbündet waren, versuchten die Gommer im Rücken anzugreifen.
Er selber hätte gerne noch weitergekämpft, hatte aber einen solchen Durst, dass es ihm nicht mehr möglich war. «Ach», soll er ausgerufen haben, »hätte ich nur einen Trunk Wasser um den brennenden Durst zu stillen; dann könnte ich noch einmal kämpfen!» Als er diese Worte ausgerufen hatte, sei sogleich am Fusse des Hügels ein Brunnen entsprungen. Er labte sich daran, warf die Eingeweide über die Schultern und erschlug noch vierzig Berner. Dann sank er ermattet hin. Die Berner zogen sich, ob solcher Tapferkeit erschreckt, zurück und wollten über die Grimsel nach Bern fliehen. Da begegneten ihnen schon ihre Frauen, die mit Kindern und Hühnern das eroberte Land in Besitz nehmen wollten. Die Walliser haben noch viele fliehende Berner getötet.
Der Brunnen auf dem Schlachtfelde fliesst aber noch immer und wird noch heute Riedi-Brunnen genannt.
ULRICHEN
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch