Bevor der liebe Gott auf seiner Weltreise die Schweiz verliess, fragte er zum Abschied die Eidgenossen, ob sie noch besondere Bitten an ihn hätten. Natürlich hatten sie das!
Die Gletscher seien in den letzten Jahren so stark zurückgegangen, dass jetzt zu wenig Wasser mehr fliesse, um die Fluren grün zu erhalten. Wiesen und Äcker seien dürr. Ob er da kein Heilmittel kenne. Der Herrgott wusste sogleich Bescheid und meinte: «Das ist doch einfach, da muss gewässert werden! Jetzt, wollt ihr es tun, dann ist’s recht, wenn nicht, werde ich es selbst besorgen müssen!» Diese Rede gefiel allen wohl, und sie dankten: «Herr, du hast uns bis jetzt gut behütet, und dir verdanken wir alles, was wir haben; mache es nur so weiter!» Die Walliser aber blieben allein stumm und sannen und grübelten. In ihrem Argwohn trauten sie dem Vorschlag des Herrn nicht ohne weiteres.
Wahrscheinlich kannte Petrus die Walliser schon, denn er lief schnell hintendurch zu ihnen, gab ihnen einen Schupf und flüsterte: «Lasst doch den Herrn nur machen, er meint es gut mit euch und wird es schon verstehen; er ist ja sozusagen selbst ein Walliser.» Jetzt stutzten diese aber erst recht: «Was, ein Walliser ist er? Aber wie will er dann das Wässern besser verstehen als wir? Nein, nein, wenn dem so ist, wässern wir selbst!»
Und so wässert heute in der übrigen Schweiz der liebe Gott, im Wallis aber wässern die Walliser selbst, und ihre Matten verdorren.
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch