Der Heiland und Petrus gelangten einmal Abend zu einem Schuster und baten, bei ihm übemachten zu können. Der liess sie übernachten und gab ihnen noch abends und morgens zu essen. Am andern Tag vor dem Aufbruch sagte der Heiland zum Schuster, er könne als Lohn drei Dinge wünschen, nach freier Wahl. Da wünschte der Schuster zum ersten, immer beim Kartenspielen zu gewinnen. Petrus ermahnte ihn, er solle das Paradies wünschen. Der Schuster aber wünschte zum zweiten, wer sich auf seinen Stuhl setze, der müsse dort bleiben, bis er ihn aufstehen heisse. Petrus sagte wieder: «Wünsch dir das Paradies.» Aber der Schuster wünschte zum dritten, wer auf seinem Pflaumenbaum sitze, der müsse dort oben bleiben, bis er ihm erlaube herunterzusteigen. Petrus meinte, das seien keine rechten Wünsche. Jetzt wurde der Schuster wütend und brüllte Petrus an: «Halt’s Maul, du Dummkopf, ich weiss doch, was ich zu wünschen habe.»
Der Heiland und Petrus reisten weiter. Von nun an gewann der Schuster immer, wenn er Karten spielte. Das, was er selbst nicht brauchte, gab er den Armen. Als der Schuster alt war, kam der Tod und wollte ihn holen. Der Schuster sagte zum Tod: «Setz dich auf diesen Stuhl, während ich mich parat mache.» Der Tod nahm Platz und wollte aufstehen, doch als der Schuster kam, konnte er nicht. Der Tod musste lange betteln, bis er wieder aufstehen durfte; zuerst hatte er dem Schuster versprechen müssen, 25 Jahre zu warten. Nach dieser Frist kam der Tod zurück, als gerade die Pflaumen reif waren. Der Schuster sagte zum Tod, er esse gewiss gern ein paar Pflaumen vor dem Weggehen. Der Tod stieg auf den Pflaumenbaum und konnte nicht mehr herunter. Diesmal liess der Schuster ihn versprechen, ihn in 50 Jahren abzuholen; dafür durfte er herunterkommen. Als die Zeit vorbei war, kam der Tod wieder, und diesmal musste der Schuster mit.
Als sie vor den Toren des Paradieses standen, sagte Petrus zum Schuster: «Spieler dürfen da nicht herein, und du hast mir erst noch "Dummkopf" angehängt.» Der Tod brachte ihn vor die Tore des Fegefeuers, doch dort wollten sie den Schuster auch nicht. Danach ging der Tod mit ihm hinunter in die Hölle. «Ich hab’s mir doch gedacht, dass ich den doch noch erwische», sagte der Teufel, «der hat immer Karten gespielt.» Da stellte sich der Tod auf die Seite des Schusters und sagte, der habe doch nie unredlich gehandelt. Der Schuster fragte, ob sie auch Karten in der Hölle unten hätten. «Ja, ja, mehr als genug», antwortete der Teufel. Nun sagte der Schuster zum Teufel, sie wollten um seine Seele spielen. Sie spielten, und der Schuster gewann. Da brachte der Tod den Schuster noch einmal vor die Tore des Paradieses. Der Herrgott sagte, sie sollten den Schuster einlassen; der habe nie unredlich gehandelt.
(Oberhalbstein)
Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.