Die Männlein mit den schwarzen Mänteln

Land: Schweiz
Kategorie: Schwank

Es war einmal einer von Ramosch, der ging nach Tarasp hinüber, um Honig zu verkaufen. Er trug den Honig in einem grossen Kessel auf seiner Krätze. Es war Sommer und heiss, und er hatte im Aufstieg von Gurlaina sein Unterhemd ausgezogen und es über den Kessel gelegt.

Oberhalb Vulpera wollte er eine Pause machen. Da kam ein Haufen Männlein mit schwarzen Mänteln herbei, die liessen sich auf dem Rand des Kessels und sogar auf dem Honig nieder und begannen mit aller Lust davon zu essen.

«Aber, könnt ihr denn auch zahlen, wie es sich gehört?» fragte unser Mann aus Ramosch sofort. Und alle antworteten: «ssssss ...» - «Ah, dann esst nur, bis ihr genug habt! So brauche ich den Honig nicht nach Tarasp hinaufzutragen, und die dort oben sind sowieso schlechte Zahler. Ja, ja, esst nur, so viel ihr wollt, meine Männlein!»

Und er machte noch länger Pause und war ganz froh, dass der Honig abnahm. Gegen den Nachmittag war alles weg; die Männlein hatten den Honig bis auf den Boden des Kessels vertilgt.

Bevor der Mann aus Ramosch sich auf den Heimweg machte, wandte er sich nochmals zu seinen Gästen und sagte: «Nun wisst, am Sonntag komme ich hierher und ziehe ein! Schaut, dass ihr das Geld bereit habt! Es macht im Ganzen 5 Rheinische Gulden und 26 Kreuzer!» Und alle Männlein antworteten einstimmig: «ssssss ...» - «Gut, gut», meinte der von Ramosch und ging weiter.

Am Sonntag danach geht er wieder Richtung Tarasp. Wenig über Vulpera sieht er seine Männlein mit den schwarzen Mänteln und sagt: «Jetzt bin ich da wegen der Bezahlung des Honigs.» - «ssssss...» antworten alle, doch keiner kommt mit Geld. «Aber nur mit "schi, schi" ist’s nicht getan, ich will mein Geld, wie ihr versprochen habt!» beginnt der aus Ramosch zu murren. Aber alles Schimpfen, ja wütende Fluchen half nichts. Die Männlein machten immer nur «ssssss ...», doch sie taten mit Bezahlen nicht dergleichen. Schliesslich verlor der Mann aus Ramosch die Geduld und drohte, sofort zum Landammann nach Tarasp hinauf zu gehen. Und als er sah, dass auch diese Drohung nichts nützte, wurde er so wütend, dass er schnurstracks zum Landammann lief.

Er fand jenen zum Glück zu Hause und klagte, dass jene Männlein mit den schwarzen Mänteln seinen Honig gegessen hätten, und als er gefragt habe, ob sie ihn bezahlen würden, so hätten alle ja gesagt. Wie mit ihnen abgemacht, sei er dann heute hergekommen und habe das Geld einkassieren wollen. Aber alle hätten nur immer «schi, schi!» gesagt, bezahlt habe nicht einer auch nur einen Kreuzer. Da fragte der Landammann nach dem Namen jener Männlein. Doch der von Ramosch antwortete, er wisse keinen einzigen Namen. «Das ist eine verteufelte Geschichte», erwiderte der Landammann, «für diesen Fall muss ich sofort das Gericht einberufen und dieses entscheiden lassen.» Das tat er auch sogleich, und in kurzer Zeit war das Urteil gefällt. Der von Ramosch wurde in die Stube gerufen, und der Landammann teilte ihm auf der Stelle den Gerichtsentscheid mit: Da der Mann von Ramosch die Namen jener Männlein, die seinen Honig gekauft und ihn nicht hatten bezahlen wollen, nicht kenne, hätten die Richter beschlossen, wenn er eines von ihnen sehe, so dürfe er es töten.

Gerade in diesem Augenblick setzt sich eines von diesen Männlein mit den schwarzen Mänteln auf des Landammanns Nase. Unser Mann aus Ramosch hebt sofort den Stuhl vor ihm auf und wirft ihn auf die Fliege. Beide, Fliege und Landammann, fallen auf der Stelle tot zu Boden.

(Unterengadin)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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