Strohhalm, brennendes Scheit und Bohne

Land: Schweiz
Kategorie: Fabel/Tiermärchen

Eine Hausfrau wollte eines Tages als Mittagessen für ihre Drescher einen zünftigen Teller Bohnen zum Fleisch an Stelle von Maisklössen kochen. Um schneller anzufeuern, nahm sie einen Wisch Stroh.

Einer dieser Strohhalme fiel zu Boden, und die Frau liess ihn eben da unten liegen, denn sie war in Eile.

Nach einem Augenblick, als das Feuer gehörig angefacht war, dass es krachte wie beim Pistolenschiessen, sprang ein feuerrotes brennendes Scheit aus dem Kochherd, fiel zu Boden und blieb unten liegen.

Einen kurzen Augenblick später begann das Wasser zu sieden, und es brodelte, dass es eine Lust war. Und die Bohnen begannen im Wasser und auf den Strudeln zu tanzen, wie wenn ebenso viele Fischlein im Kochkessel wären. Eine Bohne war jedoch ein wenig zu frech. Sie hüpfte ein Stück über den höchsten Strudel hinaus, flog aber ein wenig schräg und fiel neben den Kochkessel auf die Platte und von dort auf den Küchenboden.

Diese drei Gefährten am Boden unten glotzten sich nun an und wussten zuerst nicht, was machen. Da sagt das brennende Scheit: «Wisst ihr was, wir hauen gleich ab, bevor die Hausfrau uns sieht, sonst schmeisst sie mich wieder ins Feuer und lässt mich völlig verbrennen.» - «Nun, mich auch», erwidert der Strohhalm. «Und mich», meint die Bohne, «wirft sie wieder ins siedende Wasser und lässt mich Schmerzen erleiden, dass ich die Sterne sehe, dies bis ich weich genug bin, dann gibt sie mich ihren Dreschern zu essen, die kauen mich ohne jedes Mitleid, bis ich nur noch Mus bin. Ja, ja, machen wir uns so rasch als möglich aus dem Staub!»

So gingen die drei Gefährten fort, ganz leise zur Küche hinaus, die Strasse hinunter und weiter in die Welt hinein, ohne zu wissen, wohin.

Nach kurzer Zeit kommen sie zu einem Tobel. Nun, was tun, um hinüberzukommen? Mit einem Sprung darüber, daran ist nicht einmal zu denken; denn das Tobel ist zu breit! Waten können sie auch nicht, das brennende Scheit hat nämlich entsetzliche Angst vor dem Wasser und würde sterben, sobald es hineinginge. Da sagt der Strohhalm: «Wartet, wir machen es so! Ich bin recht lang, ich reiche von einem Ufer zum andern. Also, ich werfe mich in voller Länge über das Tobel, und dann geht über mich, und wenn ihr drüben seid, so zieht auch mich darüber.» Alle waren damit einverstanden.

Der Strohhalm warf sich also über das Tobel und bildete so eine Brücke. Dann wollte das brennende Scheit zuerst über die Brücke. Es ging ein Stück weit, bis zur Mitte des Strohhalms. Doch da bekam es Angst, die Beine begannen ihm zu zittern, und es blieb einen Augenblick stehen. Nun war es geliefert! Der Strohhalm fing Feuer, brannte durch, und die beiden Stücke fielen ins Wasser. Mit dem Strohhalm zusammen fiel auch das brennende Scheit hinein und starb sofort vor Angst. Und beide wurden vom Wasser weggetragen, wer weiss wohin.

Die Bohne, die am Rand des Tobels gewartet hatte, bis das brennende Scheit drüben gewesen wäre, begann erbarmungslos zu lachen, als sie sah, wie dieses den Mut verlor, der Strohhalm Feuer fing und beide Gefährten mit einem jämmerlichen Geschrei ins Wasser fielen. Und sie lachte, bis sie platzte. Ein Schneider, der eben in jene Gegend kam, sah die arme gesprungene Bohne neben dem Fluss liegen und hatte Mitleid mit ihr. Er nahm eine Nadel hervor und nähte sie, so gut er konnte. Doch da er schwarzen Faden in der Nadel hatte, so wurde auch die Naht schwarz. Und dies haben alle Bohnen noch heutzutage.

(Unterengadin)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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