Liedertswil ist neben Bretzwil und Waldenburg die einzige Ortschaft im ganzen Baselbieter Jura, die noch eine Gemeindeweide besitzt. Zwei Lappen dieser steilen Weide hangen nach Norden ins stille Weigischtälchen herab, einige riesige alte Linden stehen darauf. Die beiden Lappen sind getrennt durch einen mit Wald umstandenen Graben. Das ganze Gelände ist unruhig, Erdrutsche waren dort früher keine Seltenheiten. Auch munkelte man vor 50 Jahren, es habe in der Nähe Wildsauen und Bären gegeben. Der Erzähler erinnert sich nur, dass er als Bube daran glaubte und weiss noch genau, dass in den kleinen Kalkflühen bei der Eretsrütti und im Kühweidberg auffallend viele Bussarde und Käuzen, auch Wildtauben horsteten. Alles zusammen also ein richtiges Jagdrevier romantischen Charakters, ein Boden für Sagenbildung.
Der Erzähler war etwa acht Jahre alt und sass eines Winterabends mit seiner älteren Schwester auf der Kunst, schon im Nachthemmli, um noch etwas Wärme für das Bett zu sammeln. Da erschien der Präsident, um mit des Erzählers Vater, der Lehrer und Gemeindeschreiber war, etwas zu besprechen. Die Angelegenheit dauerte nicht lange. Und auf einmal fing der Presi an zu erzählen von einem unheimlichen Erlebnis, das er gestern Abend gehabt:
«Ich habe auf Wil das Vieh besorgt. (Vier Liedertswiler hatten damals östlich der Wilhaulen grosse Bergmatten mit Heuscheunen und kleinen Ställen darauf. Das Heu fütterten sie im Spätwinter an Jungvieh, das sie dort oben so lang warteten, bis das Futter zu Ende war.) In der Nacht bin ich nach dem Niederhof abgestiegen. Aber es war unheimlich. Schon im Stall war der Teufel los. Die Tiere schlugen aus, fuhren hin und her, brüllten, wollten nicht fressen. Daher blieb ich länger als sonst auf dem Berg. Als ich ins Freie treten wollte, schlug mir ein Sauwind die Stalltüre an den Grind und es kübelte nur so vom Himmel. Ich pressierte. Beim «Höchen Stich » schwenkte ich rechts ab und lief dem Lichs zu.
Aber heiliges Donnerwetter, jetzt kam es, jetzt! Auf einmal konnte ich fast nicht mehr gehen und stehen und es verschlug mir den Atem. Und nun fuhr von der vorderen Wilhaulen ein fürchterlicher Sturm daher, ich hörte lautes, wildes Hundegebell, überhaupt einen verfluchten Lärm. Ich denke, die Welt will untergehen.
Da springen Hunde, grosse und kleine, mit feurigen Augen und Mäulern links und rechts an mir vorbei, und plötzlich läuft ein schwarzer, grosser Jäger auch an mir vorüber und ruft etwas. Verstanden hab ich nichts, ich war wie gelähmt und am Umfallen. Und dann fing es an zu regnen und zu tosen, viel ärger als oben bei der Hütte. Die Wilhaulenhunde und der Jäger verschwanden über dem Lichshübel in der Richtung nach dem Heimsten (allein und einsam stehender Bauernhof in einer Mulde östlich des Lichs). Nun konnte ich wieder gehen und schritt heimwärts. Ich spür’ es heute noch in allen Gliedern.»
Das erzählte der Presi. Die zuhörenden zwei Kinder froren vor Gruseln, ihr Vater lachte leise und sagte: «Aber Presi, ihr werdet doch das nicht glauben! Oder habt ihr das wirklich gesehen und gehört?»
Der Presi beteuerte wiederholt, dass alles pure Wahrheit sei und ging fast ärgerlich fort. Die Kinder fragten ängstlich den Vater, ob es so was gäbe. Er erklärte, alles sei eine Täuschung und sie sollten jetzt ruhig ins Bett gehen und beten. Der Knabe sagte im Bett zur Schwester: «Aber vielleicht hat der Presi die Wilhaulenhunde und den Jäger doch gesehen.» Die Schwester erwiderte stolz: «Der Vater wird es denk besser wissen als du.»
Quelle: G. Müller/P. Suter, Sagen aus Baselland, Liestal 1939.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch