Der tabakrauchende Hausgeist in Lengnau

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Zu einem grossen Bauernhause zu Lengnau wohnten mehrere Familien gemeinschaftlich zusammen, die in sehr üblen Ruf standen.

Besonders der Meister der einen Sippschaft war im Dorfe gemieden und gefürchtet. Obschon seine mancherlei Diebstähle nicht erwiesen werden konnten, nagten sie doch, je älter er wurde, an seinem sonst so verhärteten Gewissen, und am Ende fand man ihn erhängt. Selbstmörder aber werden zu Gespenstern. Bald schleppte er daher seine Ketten rasselnd im Hause herum, legte sich als Sack quer vor Stiegen und Türen, dass man über ihn wegspringen musste, und machte sich allen lästig. Schliesslich liess man einen Kapuziner gegen diese Hausplage kommen. Er bannte den Geist in eine Kiste, beschlug sie tüchtig mit Nägeln und brachte sie unter die Dachfirst hinauf, in den dunkelsten Winkel. Dies half, allein nicht auf die Dauer. Sobald im Frühjahr die Leute wieder aufs Feld hinaus gingen und die kleinen Kinder daheim sich selbst überlassen mussten, durchmusterten diese das Haus bis unter das Dach und zogen da auch die vernagelte Kiste hervor. Weil sie ihnen zu schwer war, um sie bis aus Licht vorzutragen, schoben sie dieselbe durch die Dachlücke hinaus und liessen sie so in den Hof hinabstürzen, drunten platzte sie und der Geist war wieder los. Obschon die Knaben höchlich verwundert waren, in der Kiste gar nichts vorzufinden, räumten sie die Bretter doch aus dem Weg und schwiegen darüber, als abends die Ältern vom Acker heimkamen. Die Abendsuppe wurde gekocht, man setzte sich zu Tisch, doch sogleich trat auch der verstorbene Meister zur Türe herein, mit den Ketten klirrend, die er um Leib und Beine gewunden hatte, nahm seinen alten Platz hinter dem Tisch ein, stopfte seine Tabakspfeife und rauchte ruhig drauf los. Nach einer Weile ging er wieder zur Stube hinaus, ohne sich für diese Nacht weiter hören zu lassen. Allein schon am Morgen darauf lagen die Kinder krank, schwollen auf und starben rasch. Dies ging den Ältern so zu Herzen, dass sie das Haus verkauften und aus dem Dorfe fort nach Spreitenbach zogen. Andere mieteten sich nach ihnen ein, fanden aber ebenfalls keine Ruhe und verliessen das Haus wieder. Jetzt steht es unbewohnt.

 

Quelle: E. L. Rochholz, Naturmythen. Neue Schweizer Sagen, Leipzig  1862

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch  

 

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