Ein Mann aus dem Hohlenweg bei Reinach sammelte spät am Abend im Walde Reiser in jener Gegend, wo der sogenannte Feuerweiher liegt. Eine schöne Jungfer gesellte sich da zu ihm. Sie war schneeweiss gekleidet, nur über die Schulter trug sie ein schwarz seidenes Halbmäntelchen. Sie tat freundlich und brachte das Gespräch auf die Frage, ob er sich wohl auch fürchte. Vor niemandem in der Welt, sagte beherzt der Mann.
„Nun denn, wenn dem so ist,“ sagte die Jungfrau, „so kannst du schnell ein reicher Mann sein. Komm nur in der heutigen Mitternacht wieder auf diese Stelle, ich werde dann auch da sein; zwar nicht in der Gestalt, wie jetzt, sondern als wilder Eber, allein der Eber mag grunzen und anlaufen, wie er will, es geschieht dir kein Leid. Such ihm nur den Schlüssel zu entreissen, damit kannst du die verborgene Türe, die ich dir zeige, öffnen und einen unermesslichen Schatz erheben. Der Spruch, den du nicht vergessen darfst, lautet: Eiserne Tür, öffne dich zu Kisten und Kasten, so kann die arme Seele rasten!“
Der Mann versprach’s, ging heim, sagte niemandem ein Wort über den Vorfall und stand zur rechten Zeit wieder am bestimmten Ort. Nicht lange so kam ein Eber in gewaltigen Sprüngen und trug wirklich einen Schlüssel im Rüssel. Aber der Mann merkte bald, wie unmöglich es sei, den Schlüssel zu erhaschen, und je mehr er darüber in Befangenheit geriet, um so ungestümer und wütender tat der Eber. Der Mann wagte nicht länger auszuhalten und lief dem Hohlenweg zu. Nun aber eilte ihm das Tier nach, und die Stimme der Jungfrau schrie unaufhörlich: „Hundert Jahr, Hundert Jahr muss ich wieder wandeln!“
Darüber befiel den Mann ein solches Grauen, dass er erkrankte und bald darauf starb.
Quelle: E. L. Rochholz, Naturmythen. Neue Schweizer Sagen, Leipzig 1862
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch