Der Findlingsblock, der im Lintwalde bei der Stadt Lenzburg liegt, wird Römerstein genannt und dient seit alter Zeit dazu, seine Gesteine an Neubauten abzugeben.
Vor etlichen Jahren erst hat man solche Massen von ihm gesprengt, dass man sämtliche Kanäle des Lenzburger Stadtbaches daraus hauen konnte. Gleichwohl ist er noch immer bei 12 Fuss hoch, gegen 15 Fuss breit und 20 Fuss lang. Er soll das Schatzgewölbe der untergegangenen Römerstadt Lenz gewesen sein, durch geheime Maschinen war er zu heben, da sie zerstört sind, deckt er mit seiner Wucht die unter ihm begrabenen Reichtümer.
Einige Schlupflöcher an seiner Grundlage scheinen nicht dem blossen Zufall anzugehören; man kann sie zur Not bekriechen. Man erzählt, des Nachts kämen Rauch und Funken daraus hervor gefahren, ein dumpfes Getöse im Innern sei zu hören.
Ein Jäger, dessen Hund hier den Füchsen nachgeschlupft und nicht wieder zum Vorschein gekommen war, beschloss durch eines dieser Löcher hinabzusteigen. Er gelangte bald an eine eiserne Türe, und da sie unverschlossen war, konnte er durch sie hindurch in ein Gewölbe schreiten, in welchem Grubenlichter brannten. Aufgesprengte Geldkisten standen umher, bärtige Gesellen arbeiteten eben daran, eine neue aus dem Boden zu heben. Sobald sie den ungebetenen Gast bemerkten stürzten sie auf ihn los, entrissen ihm sein Weidmesser, und geknebelt und niedergeworfen, musste er nun den grausamen Ratschlag mitanhören, wie man ihn unschädlich machen wolle. Sie beschlossen, ihm einstweilen die Zunge abzuschneiden, damit er ihnen als Arbeiter dienen und doch nichts ausplaudern könne. Sein Flehen half ihm nichts und schon begannen sie zur Tat zu schreiten. Doch diese Unmenschlichkeit sollte nicht zum Vollzug kommen. Entweder erbebte der Stein in seinen Grundfesten, oder es wich die schon so tief unterwühlte Erde, mit einem Male senkte sich der Fels und begrub die Mörder samt ihrem Opfer. Seitdem glaubt man, das Wimmern und Stöhnen der zerschmetterten Schatzgräber nachts beim Römerstein zu hören.
Quelle: E. L. Rochholz, Naturmythen. Neue Schweizer Sagen, Leipzig 1862
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch