Die Erdmännchen auf dem Pilatus haben so viele Histörchen als Leute über sie erzählen. Der alte Hansmarti-Jakob am Löchenrain bei Eschenbach behauptet, sie hätten im Eschenbacher-Felsabhange gewohnt, dann bei den Dorfleuten Abends die Milch aufgesucht, die ihnen die Bauernmagd nach dem Melken beiseite stellen musste, und dafür am Morgen regelmässig das Vieh gemolken, damit die faule Lene eine Stunde länger schlafen konnte. Aber geredet hätten sie niemals ein Wörtchen, obschon sie das Luzerner-Deutsch gut verstanden haben.
Der alte Luzerner-Stadtschreiber Joh. Leop. Cysat hat in seiner Beschreibung des Vierwaldstätter-Sees mehr das Sonderbare, als das Landesübliche von diesen „Berglütlenen des Pilatus“ zu erzählen gesucht. Er schildert sie in allerlei Jagdabenteuern als die Herren und Hüter der Gemsen. Kam ein gerühmter Schütze den Berg herauf, so liessen sie sich mit ihm in einen Accord ein und stellten ihm für eine gewisse Zeit oder eine Anzahl Jahre regelmässig ein Gemslein schussgerecht zuwege; dafür musste aber der Schütze geloben, die andern Thiere eben so lange in Ruhe zu lassen. So hat der alte Landammann Heinrich Jmmlin von Obwalden unserm Cysat selbst erzählt, wie er einmal am Pilatus den Gemsen nachgegangen und ein Bergmanndli dahergekommen sei, das ihm verboten habe, weiter herauf zu steigen. Er habe als starker Mann dieser Warnung spotten wollen, da sei aber das Manndli auf ihn losgesprungen und habe ihn mit grosser Gewalt die Felsen hinunter geworfen. Drunten lag er viele Stunden halbtodt, bis ihn die Seinigen fanden, erquickten und heimtrugen.
Auch dem Untervogt von Malters, Hans Bucher, ist es nicht viel besser ergangen, er hat es selber dem Stadtpfarrer von Luzern i. J.1592 auf sein Gewissen als wahr erzählt. Bucher, ein braver und frommer Mann, war ein eifriger Fischer und Jäger und hatte sich oft geäussert, er möchte doch auch einmal so ein Herdmanndli sehen. Eines Tages nun, als er droben auf dem Pilatus im Rümlig nach schmackhaften Forellen fischte, sprang ihm ein solches rücklings auf den Hals und drückte ihn mit solcher Macht in den Bach nieder, dass er meinte, es sei sein Letztes. Du bist auch einer von denen, sagte es, die mir meine Thierlein schon viel geplagt und zerstreut haben! dann verschwand's und liess ihn liegen. Der Untervogt kam schwach und elend heim und fühlte sich auf einer Seite lahm: „also dass er fürder der Wildi (des Weidwerks) sich enthalten und nun das Haus vergaumen (hüten) rnüssen“. Das ist der sogenannte Hexenschuss und Zwergenschlag, mit dem sie den strafen, der ihrer Warnung nicht folgt.
Die Sennen schildern sie als zwei Fuss hohe Männchen in grünen oder grauen Röcklein. Ihr Bart ist grau und wallend, ihre Locken fallen ihnen auf die Schulter. Sie trugen rothe Käpplein und hatten Gänsefüsse. In den Berghöhlen hüteten sie Schätze. Pfeilgeschwind kamen sie aus ihren unterirdischen Gängen hervor, erkletterten Bäume und Klippen und waren eben so schnell wieder verschwunden. Wo sie im Hause zusprachen, da war der Segen Gottes in Allem; wem sie im Sommer heueten, der war mit seinem Viehbestand ein Glückskind. Aber wer sie durch Rohheit erzürnte, der hatte eben so sicher ihre Rache zu fürchten. Bei den Hirten waren sie ganz einheimisch, und so gerne assen sie das ihnen vorgesetzte Schweinefleisch, dass sie dafür aus Karten und Händen weissagten und mancherlei ärztliche Kunst offenbarten.
Bisweilen kamen sie im Hirtenhemde daher, das Lecktäschli mit Viehsalz gefüllt über der Achsel, im Händchen eine lange Gerte. So lockten sie Abends um die Betglockcnzeit den Kühen und fuhren dann allmählich mit ihnen durch die Luft davon. Kamen dann nach drei Tagen die Thiere wieder auf die Alpwcide zurück, so waren sie ausgemolken und vor Ermüdung halb todt. Bei einer solchen Begebenheit konnte sich der Senn nicht anders schützen, als dass er schnell den Alpsegen sang; damit brachte er die Kühe, wenn sie schon hoch in den Lüften waren, wieder zurück und ganz sanft liessen sie sich auf die Weide herab.
Wenn nun heute die Glocken der vielen Ortschaften um den Pilatusberg zum Abendgebete läuten, so vergisst auch der Senne auf der Alp droben nicht, einen kräftigen Abendruf oder Alpsegen mit zu sprechen. Auf Bründlenalp, auf der Frostaffel erheben sich die hohen Felsen des Widderfeldes mit der Höhle des Tomili, auch Dummlin genannt. Der hl. Dominicus soll versteinert in ihr sitzen; auch könne man, heisst es, darinn so weit vordringen, dass man endlich das Geschelle der Weidkühe höre, die auf der entgegengesetzten Seite des Pilatusberges auf der Unterwaldner-Brünnlenalp gehen. Dorten liegt auch das grosse Mondmilch-Loch und nicht entfernt davon der berüchtigte Pilatus-See. Hier singt der Senne auf Bründlenhütten seinen Kühen den Abendsegen durch die Volle, den Milchtrichter, zu und erhält dafür von Gemeinde oder Weidherrn den eigens bestimmten Rufkäse. Dieser Abendruf, zu dessen Schluss auch die Anfangsverse aus dem Evangelium Johannis gesprochen werden, lautet also:
Ho-ho, hoö-hoh, hoh-lowe Amen!
Nehmet alle Tritt in Gottes Namen!
Ho-lowe, Jesu Christi Blut,
Bhüt Aller Leib, Seel, Ehr und Gut,
Was in die AIp ghören thut.
Das walt Gott uns unsre herzliebsti Frau,
Das walt der heilig Sant Wendel auch,
's walt Gott und der heilig Sant Antoni,
's walt Gott und der heilig Sant Loy.
Aus Rennwart Cysats Handschriften in Luzern, ausgeschrieben durch Joh. Leop. Cysat: Beschreibung des Vierwaldstätten-Sees. 1659. - Capeller, hist. mont. Pilati 1767, pag. 178 ff.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 325
Zwergensagen aus anderen Schweizerkantonen
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch