Der Diener und der Zauberer

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne. Zwei waren gescheit, und einer war ein Dummkopf. Der Vater gab jedem drei Batzen und ein Brot und sagte ihnen, sie müssten verdienen gehen. Alle drei gingen den gleichen Weg, bis sie nach einer Weile zu einer Kreuzung gelangten. Der Dummkopf nahm den obersten Weg, seine Brüder die andern beiden.

Der Dumme ging durch einen Wald, da begegnete er einem Herrn. Der fragte ihn, wohin er gehe. Der Bursche antwortete, er suche Arbeit. Da sagte der Herr, er könne ihn schon einstellen, aber er müsse sieben Jahre bei ihm bleiben. Er habe nichts anderes zu tun, als täglich einen Schrank voller Bücher zu putzen und zu schauen, dass sie nie staubig würden.

Der Bursche trat in den Dienst des Herrn, und der führte ihn auf sein Schloss, wo er täglich die Bücher abstauben musste. Der Herr blieb sieben Jahre lang fort, und nach seiner Rückkehr gab er dem Diener einen guten Lohn, und der verpflichtete sich nochmals für sieben Jahre. Aber diesmal fing er an, die Bücher selber zu lesen. Weil es Zauberbücher waren und sein Herr ein Zauberer, lernte er zaubern. Als die sieben Jahre vorbei waren, wusste er alles ganz genau über die Zauberei, und er ging nach Hause.

Nachdem er das verdiente Geld aufgebraucht hatte, sagte er seinem Vater, er verwandle sich in ein Pferd, und der Vater solle es auf den Markt führen und dafür hunderttausend Gulden verlangen. Aber die Halfter dürfe er auf keinen Fall verkaufen, wieviel auch immer man dafür biete. Darauf verwandelte er sich in ein Pferd, und der Vater ging mit ihm auf den Markt. Da kam ein Herr und bot dem Vater hunderttausend Gulden für das Pferd, und sie wurden handelseinig. Doch der Herr wollte auch die Halfter, und er bot ebensoviel wie für das Pferd. Da verkaufte der Vater die Halfter. Der Herr - es war der Zauberer - nahm das Pferd, ging mit ihm nach Hause und stellte es dort in den Stall, am andern Tag kam er mit einem Beil in den Stall, um das Pferd zu töten. Doch das Pferd verwandelte sich in eine Taube, und die flog aus dem Stall. Aber der Herr verwandelte sich in einen Habicht und flog der Taube nach. Der Habicht hätte die Taube beinahe erwischt, doch dann verwandelte sie sich in einen Ring, und der Ring fiel in den Schoss der Königstochter, die im Garten war. Die Königstochter nahm den Ring, und der Ring sagte, sie solle ihn auf den Tisch fallen und dahin rollen lassen, wohin er wolle.

Am andern Tag, während des Mittagessens, liess die Königstochter den Ring auf den Tisch fallen, und der Ring verwandelte sich in ein Hirsekorn, das rollte zu Boden und verwandelte sich in einen Leinsamen. Der fiel durch einen Spalt im Fussboden in den Keller und verwandelte sich dort in einen Fuchs.

Die Königstochter gebar ein Büblein. Darauf fragte der König alle im Schloss, welche Strafe seine Tochter dafür verdiene. Alle sagten, er solle mit ihr machen, was er wolle. Da liess der König auf einer Insel ein Schloss bauen, sperrte die Tochter und das Kind darin ein und liess das Tor zumauern. Aber der Fuchs brachte jeden Tag der Königstochter und dem Sohn, den er von ihr hatte, das Essen zum Fenster herein.

Nach sieben Jahren verspürte der König Reue, und er wollte nachschauen, ob er die Knochen der Tochter finde. Er ging auf die Insel und liess die Mauer aufbrechen.

Als der König in die Stube hinaufkam, sah er die Tochter gesund und munter, und bei ihr war ein siebenjähriger hübscher Bub. Der König freute sich sehr und fragte sie, wer ihr das Essen gebracht habe. Da erzählte die Tochter alles und sagte dem Fuchs, der unter dem Ofen lag, er solle hervorkommen. Der Fuchs kam hervor, und in dem Augenblick verwandelte er sich in einen grossen und schönen Mann. Der König nahm sie alle auf sein Schloss, wo sie ein ganz schönes Leben hatten.

 

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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