Die drei Rätsel

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Zur Zeit der Vögte wohnte einer in der Nähe eines Klosters, und der dachte sich alle möglichen Gemeinheiten aus, um es zugrunde zu richten. Eines Tages ging er zum Kloster und begegnete dem Abt, der unterhalb des Klosters spazieren ging. Da sagte der Vogt zum Abt, wenn er nach drei Tagen die drei Rätsel, die er ihm aufgebe, nicht lösen könne, so jage er ihn und alle Mönche aus dem Kloster. Er müsse raten können, wie viele Blätter auf der grossen Esche neben dem Kloster seien, wie tief der See von Laus sei und wie viele Sterne es am Himmel habe. Darauf ging der Vogt fluchend und polternd weg, und der Abt kehrte ganz traurig ins Kloster zurück. Dann erzählte der Abt den Mönchen alles, und die waren traurig, weil niemand eine Antwort wusste.

Der Schweinehirt merkte, dass alle ganz geknickt waren, und er fragte den Abt, was geschehen sei, dass sie den Kopf hängenliessen und so wenig redeten. Der Abt antwortete, dies gehe ihn nichts an, er könne ihnen sowieso nicht helfen. Aber der Schweinehirt gab nicht nach; er könne vielleicht doch einen guten Rat geben und ihm helfen. Da erzählte der Abt dem Schweinehirten die Sache des langen und breiten. Wenn es nur das sei, darauf könne er schon antworten, meinte der Schweinehirt. Doch der Abt müsse ihm sein Kleid geben, damit er mit dem Vogt sprechen könne. Der Abt war darüber sehr froh, und er und die Mönche waren einverstanden, dass der Schweinehirt das Kleid des Abtes anzog.

Am dritten Tag kam der Vogt, und der Schweinehirt ging ihm im Kleid des Abtes entgegen. Ruppig fragte ihn der Vogt, ob er seine Rätsel lösen wolle und der andere sagte mutig: «Ja!» Dann fragte der Vogt: «Wie viele Blätter hat diese Esche dort oben?» «Gerade so viele wie Stiele», antwortete der Schweinehirt. «Und wie tief ist der See von Laus?», fragte Tyrann. «Gerade so tief, dass ein Stein auf den Grund fallen kann», war die Antwort. «Und wie viele Sterne gibt’s am Himmel?», fragte der Tyrann zuletzt. «So viele wie Sand im Rhein», antwortete der Schweinehirt.

«Gut», sagte der Vogt, der gemerkt hatte, dass nicht der Abt vor ihm stand, «du hast richtig geraten, und deshalb sollst du von nun an Abt sein.»

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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