Die Königstochter

Land: Schweiz
Kategorie: Legende

Es war einmal ein König, der hatte eine einzige Tochter. Als sie erwachsen war, war sie eine grosse und schöne junge Frau. Aber sie wusste dies auch.

Einmal fragte der König, ob keiner der Prinzen, die sie schon gesehen habe, ihr gefalle. Und sie sagte: «Nein!» Da liess der König ausschreiben, die Prinzen, die seine Tochter heiraten wollten, müssten ihm ihre Bilder schicken. Gut, davon traf eines Tages ein ganzer Haufen ein. Der König und seine Tochter sahen alles durch, ohne ein Wort miteinander zu reden. Dann fragte der König die Prinzessin, ob ihr einer von diesen Prinzen gefalle. Sie antwortete: «Nein! Ein wirklich schöner ist nicht dabei.» Aber dieser oder jener sei nicht so übel, erwiderte der König. - Ja der, sagte die Tochter, habe ihr auch am besten gefallen. Aber vergleiche sie sich mit ihm, so sei auch der es nicht wert, ihr die Schuhbändel zu binden.

Jetzt mussten sie jedem eine Antwort geben und die Bilder zurückschicken. Sie hatten eine Menge zu schreiben. Dem Prinzen, der ihnen am besten gefiel, schrieben sie, er sei zwar von recht hübscher Statur, aber trotzdem sei er es kaum wert, die Schuhbändel der Prinzessin zu binden. Als der Vater jenes Prinzen dies las, geriet er derart in Wut, dass er dem Vater der Prinzessin gleich den Krieg erklären wollte. Doch der Sohn meinte, er könne dem König und der Prinzessin eine grössere Schande antun, als Krieg zu führen. Der Vater sagte darauf, das nötige Geld wolle er ihm schon geben, und die Zeit dazu solle er sich nehmen.

Jetzt ging der Prinz in die Stadt und kaufte von jedem Stoff einen Fetzen. Daraus liess er sich ein Narrenkleid machen. Dann nahm er seine Klarinette, zog das Lappengewand an, steckte sodann drei ganz schöne Edelsteine in die Tasche und ging zum Schloss der Prinzessin. Am Abend kam er dort an und fragte den König, ob er ihn nicht als Hofnarren nehmen wolle. Der König sagte, er solle über Nacht bleiben, dann könnten sie am andern Tag schauen, was für Spässe er mache. Wenn die seiner Tochter gefielen, so könne er dableiben, weil der alte Hofnarr davongelaufen sei. Also blieb er über Nacht.

Am andern Morgen ging er auf den Hof und führte seine Stücklein und Spässe vor. Die gefielen der Prinzessin sehr gut, so dass er als Hofnarr bleiben konnte. Das Schlafzimmer der Prinzessin lag neben dem des Hofnarren, so dass sie mit ihren beiden Kammerjungfern jeden Abend da vorbei musste.

Eines Abends legte er einen seiner Edelsteine auf den Tisch, und der verbreitete im ganzen Zimmer einen herrlichen Glanz. Der Hofnarr sass daneben und spielte meisterhaft auf seiner Klarinette. Jetzt ging die Prinzessin mit ihren beiden Kammerjungfern vorbei. Als sie spielen hörten, blieben sie stehen und hörten zu. Jetzt bemerkten sie den Glanz im Zimmer, und sie konnten nicht begreifen, woher der komme. Lange guckten sie durchs Schlüsselloch. Schliesslich beschlossen sie zu klopfen und einzutreten. Eine Kammerjungfer klopfte an die Tür, da rief der Narr: «Herein!» und alle drei traten ein. Sie konnten sich nicht genug an dem schönen Edelstein auf dem Tisch satt sehen, und die Prinzessin wollte ihn abkaufen. Doch der Hofnarr sagte, er habe genug Geld für seine Bedürfnisse und verkaufe ihn nicht. Wenn aber eine von ihnen die Nacht mit ihm verbringen wolle, so könne sie am Morgen den Stein haben. Eine Kammerjungfer liess sich darauf ein und blieb über Nacht bei ihm. Am andern Morgen bekam sie den Stein. Schnell ging sie zu den andern beiden, und die wollten unbedingt wissen, wie es ihr in der Nacht gegangen sei. Da lobte sie den Hofnarren in den höchsten Tönen, der sei ein so netter Kerl.

Am folgenden Abend legte der Hofnarr den zweiten Stein auf den Tisch. Der war noch schöner und strahlender als der vom Vorabend. Wieder nahm er seine Klarinette hervor und spielte fröhlich darauf. Nach einer Weile kam die Prinzessin mit ihren Kammerjungfern vorbei, sie hörten wieder die Musik und sahen durchs Schlüsselloch einen herrlichen Glanz. Sie klopften an die Tür, und der Hofnarr sagte: «Herein!» Alle drei traten ein und konnten nicht genug den schönen Edelstein auf dem Tisch bestaunen. Die Prinzessin wollte ihn abkaufen. Doch der Hofnarr sagte, für Geld sei der nicht zu haben, wenn sie aber diese Nacht mit ihm schlafen wolle, so kriege sie am andern Morgen den Edelstein. Da die eine Kammerjungfer wegen der mit ihr verbrachten Nacht den Hofnarren gelobt hatte, liess die andere sich sogleich darauf ein, bei ihm zu bleiben. Die beiden gingen also miteinander ins Bett.

Am andern Morgen gab der Hofnarr ihr den Edelstein, und sie ging schnell zu den andern und erzählte, sie sei mit ihm sehr zufrieden. Der Hofnarr ahnte nun, die Prinzessin werde am dritten Abend wegen des letzten Edelsteins selber kommen und bei ihm bleiben. Deshalb ging er an diesem Tag in die Stadt, kaufte alle möglichen Gewürze zusammen, schluckte sie hinunter um in der Nacht eine tüchtige Furzerei loszulassen. Am Abend legte er den dritten und schönsten Edelstein auf den Tisch; der liess das ganze Zimmer aufs Hellste erstrahlen. Wieder spielte er wacker auf seiner Klarinette. Die Prinzessin und ihre Kammerjungfern kamen an seinem Zimmer vorbei, hörten wieder spielen und sahen einen blendenden Glanz im Zimmer. Sie klopften, und als der Prinz «Herein!» sagte, gingen sie alle drei hinein. Dieser Edelstein war derart schön, dass die Prinzessin ihn abkaufen wollte. Aber der Hofnarr sagte, er gebe ihn nicht um Geld, wenn aber die Prinzessin heute Nacht mit ihm ins Bette gehen wolle, so gehöre der Edelstein ihr. Weil es in den vergangenen Nächten den Kammerjungfern gefallen hatte, war die Prinzessin einverstanden, mit dem Hofnarren zu schlafen. Aber ihr ging es schlechter. Am andern Morgen rief sie sehr früh die Kammerjungfern: Sie müssten sie aus diesem scheusslichen Gestank wegtragen und in ihr Zimmer bringen. Sie sei krank und könne nicht aufstehen. Dies tat man, und sie blieb an diesem Tag im Bett.

Nach einiger Zeit sagte dann die Prinzessin dem Hofnarren, es gehe ihr nicht gut, es sei so und so, und sie dürfe es ihrem Vater nicht sagen. Darauf sagte der Hofnarr, er wolle sie schon ernähren, er sei ein Maler. Ob sie mit ihm in eine andere Stadt fliehen wolle? Der Prinzessin war dies sehr recht, und beide flohen ganz heimlich in die Stadt, woher der Hofnarr gekommen war.

Er mietete ein Haus und liess die Prinzessin dort. Er tat so, als ob er arbeiten würde, doch er ging jeden Tag zu seinem Vater ins Schloss und am Abend zu seiner Frau.

So vergingen einige Tage. Eines Abends beklagte sich die Prinzessin, sie langweile sich schrecklich, sie könne so nicht leben; wenn sie nur etwas zu tun hätte, so würde es ihr besser gehen. «Gut!» sagte der Mann, «ich will einen Brotladen aufmachen, dann kannst du Brot verkaufen und ein paar Rappen verdienen!» - «Das will ich machen!» sagte darauf die Frau. Sogleich war der Brotladen da; sie verbrachte die Zeit mit Brot verkaufen und langweilte sich nicht mehr.

Eines Tages befahl der Prinz seinen Soldaten, sie müssten zu dem und dem Brotladen gehen und alles Brot abräumen, aber sie sollten nicht bezahlen. So machten sie es, und die Frau war sehr froh, alles verkauft zu haben. Am Abend, als der Mann nach Hause kam, sagte sie, heute sei es prächtig gelaufen. Die Soldaten des Königs hätten alles Brot bei ihr gekauft, sie habe kein einziges mehr. «Haben sie denn bezahlt?» fragte der Mann. «Nein!» antwortete sie, «aber bei meinem Vater haben sie auch nur gelegentlich bezahlt. Sie werden später bezahlen.» «Oh, das hast du jetzt gut gemacht; glaub ja nicht, dass du von denen je einen Rappen kriegst!» sagte darauf der Mann. Jetzt begann sie zu jammern und wollte kein Brot mehr verkaufen. Sie wolle etwas anderes machen. «Also denn! Wie du meinst!» sagte der Mann, «so will ich dir einen Geschirrladen aufmachen mit Porzellan-, Majolika- und Tonwaren!» «Das würde ich lieber tun als Brot verkaufen», antwortete die Frau. Sogleich war der Geschirrladen aufgestellt, und sie verkaufte täglich ihre Ware.

Eines Abends sagte ihr der Mann, anderntags sei Markt, sie solle zwei bis drei Tische voll Geschirr vor die Türe stellen um es zu verkaufen. Am Tag darauf machte sie dies. Jetzt befahl der Prinz seinen Soldaten, die enge Gasse hinunterzulaufen und die Tische umzuwerfen. Sogleich zogen sie los. Die Frau sah die Soldaten kommen, doch sie marschierten so schnell, dass sie das Geschirr nicht mehr wegräumen konnte. Ja, sie konnte sich selber knapp hinter die Türe retten. Jetzt warfen die Soldaten die Tische um, und alles Geschirr ging in Scherben.

Am Abend fragte der Mann, wie es mit dem Stand gegangen sei. Sie sagte, es sei schlecht gegangen, die Soldaten des Königs seien so schneidig die Gasse heruntergelaufen, dass sie das Geschirr nicht mehr habe wegräumen können, und alles sei zerbrochen. Lieber als weiterhin Waren zu verkaufen, wolle sie als Magd gehen und die schmutzigsten Arbeiten besorgen. «Gut! Wenn du Lust hast, in jemandes Dienst zu treten, so will ich morgen sehen, ob du eine Stelle im Schloss bekommst!» antwortete der Mann. Natürlich stellte der König sie ohne Umstände als Küchenmagd für den Abwasch ein.

Eines Abends gaben die Offiziere im Schloss einen Ball. Da befahl der Prinz einem Leutnant, er solle in die Küche gehen und die Magd, die abwasche, zum Tanzen hereinholen. Die trage ein Säcklein auf sich mit allen möglichen Resten drin, die sie von den Tellern aufgelesen habe. Wenn er dreimal mit ihr getanzt habe, solle er es so einrichten, dass das Säcklein zu Boden plumpse, die Reste herausfielen und sie sich schämen müsse.

Gesagt - getan. Der Leutnant ging an jenem Abend vom Ball weg in die Küche und lud die Magd, die abwusch, zu einem Tanz ein. Aber die wehrte sich und wollte nicht hinein. Aber der Leutnant liess nicht locker und zerrte sie in den Saal. Bevor der Tanz fertig war, stellte er es so an, dass das Säcklein mit den Resten sich loslöste und zu Boden fiel. Ein Stück Wurst rollte dahin, ein anderes dorthin, überall lagen Reste herum. Die Magd schämte sich schrecklich und ging nach Hause, während die andern Tänzerinnen vor Lachen schier platzten. Am Abend fragte der Mann, wie es ihr heute gegangen sei. Sie sagte ganz traurig, so miserabel wie heute sei es ihr noch nie gegangen. Der und der Leutnant habe sie auf den Ball geschleift, und dort habe sich dann ihr Säcklein mit den Resten losgelöst, so dass ein Stück dahin und ein anderes dorthin gerollt sei, und es habe ein schreckliches Gelächter gegeben. Sie wolle arbeiten, was es auch sei, aber ins Schloss gehe sie nicht mehr. «Also denn, wie du meinst, so will ich Bürsten und Wichse kaufen, und du kannst zur Kaserne gehen und den Soldaten die Schuhe putzen! Mit dieser Arbeit verdienst du einige Rappen», sagte der Mann. Der Frau war dies ganz recht. Sogleich war Schuhputzzeug vorhanden, und sie ging jeden Tag weg und musste jedem, der wollte, die Schuhe wichsen.

Bald darauf stand ein Fest vor der Türe. Auf diesen Tag hielt ihr bald der eine, bald der andere die Schuhe zum Putzen hin. Aber alle hatten aufgelöste Bändel und wiesen sie an, die auch gleich zu binden.

Sie konnte nichts anderes tun, als die Schuhe zu binden. Da kam auch ihr Mann in Prinzenkleidung zu ihr, mit aufgelösten Bändeln, um die Schuhe putzen und binden zu lassen. Das tat sie, ohne aufzublicken, wen sie bediente. Jetzt sagte der Prinz: «Schau ein wenig zu mir herauf! Schau, wer ich bin!» Jetzt erkannte sie ihn. «Weisst du noch», sagte der Prinz, «dass du mir geschrieben hast, ich sei nicht würdig, dir die Schuhbändel zu binden?! Wegen dieser Beleidigung hast du auf meinen Befehl mir und andern die Schuhbändel binden müssen. Komm jetzt mit mir ins Schloss! Von nun an sollst du ein anderes Leben führen!» Jetzt machten sie eine prächtige Hochzeit und wohnten seither im Schloss.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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