Eine Patin nahm eines ihrer Patenkinder zu sich und zog es auf. Aber es war ein fürchterlich hässliches Mädchen mit struppigen Haaren.
Als sie erwachsen war, sagte die Patin: «Jetzt musst du dein Brot selber verdienen. Doch du bist so hässlich, dass dich sicher niemand einstellen will.» Die Patin gab ihr drei Nüsse und sagte: «Geh jetzt auf das das und das Schloss und frag, ob sie dich nehmen möchten, wenigstens zum Hühner füttern. Diese Nüsse kannst du öffnen, wenn du meinst, es sei nötig, sonst aber nicht.»
Das Mädchen ging aufs Schloss, wie die Patin es befohlen hatte, und fragte nach Arbeit. Doch den Leuten dort grauste es vor ihr, weil sie so hässlich war, und sie sagten sie dürften sie nicht ins Schloss nehmen. Der Prinz werde recht toben, wenn er sehe, welch hässliche Dienerinnen sie hätten. Das arme Mädchen bettelte, sie sollten sie nur als Hühnermagd einstellen, sie werde im Hühnerstall unten bleiben und nie hinaufgehen, damit der Prinz sie nicht sehe. Auf ihr langes Betteln hin nahm man sie im Schloss als Hühnermagd.
Eines Tages machten sie im Schloss ein Fest. Das schmutzige Aschenmädchen, so nannten sie die Hühnermagd, kam auch in die Küche und fragte, ob sie hinein dürfe, um den Leuten beim Festen zuzuschauen. Die Köchin schimpfte und sagte, oh, sie dürfe sie auf keinen Fall in den Saal lassen, denn wer sie sehe, kriege Angst. Das Mädchen bettelte und sagte, sie wolle nur neben der Tür stehen und werde bestimmt nicht lange bleiben. Auf ihr langes Drängen hin erlaubte ihr die Köchin, hineinzugehen und einen Augenblick zuzuschauen.
Unter der Tür öffnete das Mädchen eine von den Nüssen der Patin, und sie wurde schön wie die Sonne, der Prinz bemerkte das schöne Mädchen bei der Tür sofort, doch bevor er sie richtig sah, war sie schon verschwunden. Er lief schnell in die Küche und fragte nach, wo die junge Frau sei, die gerade vorher im Saal gewesen sei, sie sei gerade jetzt aus dem Saal weg und müsse noch irgendwo im Haus sein. Doch kein Mensch hatte jemand anders gesehen als das schmutzige Aschenmädchen. Der Prinz hatte immer dieses wunderschöne Mädchen vor Augen und er konnte nicht begreifen, wohin sie verschwunden war. Und er wurde täglich trauriger.
Nicht lange danach gab der König einen zweiten Ball, um seinen Sohn ein wenig aufzumuntern, denn niemand wusste, was ihm fehle. Auch diesmal kam das schmutzige Aschenmädchen zur Köchin und bat die, sie in den Saal zu lassen. Doch die Köchin wollte es auch diesmal nicht erlauben. Aber nach langem Bitten und Betteln gab sie dem Mädchen die Erlaubnis, doch sie müsse sofort wieder hinaus.
Das Mädchen ging und öffnete unter der Tür wieder eine Nuss, und sie wurde noch schöner und strahlender als das letzte Mal. Da erkannte der Prinz sie sogleich wieder, und er wollte sie zum Tanzen holen, sobald der Tanz mit einer andern fertig war. Doch als er sie holen wollte, war sie schon wieder verschwunden. Er rannte ihr schnell nach, doch er sah nichts. Er fragte die Mägde, ob sie das Mädchen nicht gesehen hätten, sie müssten sie gesehen haben, sie sei gerade hinaus. Die Mägde sagten, sie seien die ganze Zeit da gewesen, doch sie hätten niemand anders gesehen als das schmutzige Aschenmädchen; sie sei gerade im Saal gewesen. Sie durchsuchten das ganze Haus, doch sie fanden niemanden ausser dem schmutzigen Aschenmädchen unten in ihrem Hühnerstall. Der Prinz dachte Tag und Nacht an das schöne Mädchen, zuletzt wurde er krank vor Sehnsucht und musste im Bett bleiben.
Eines Tages fragte das schmutzige Aschenmädchen, ob sie es ihr nicht erlaubten, den Prinzen zu besuchen, auch sie würde gerne schauen, wie es ihm gehe. Alle Diener lachten sich tot und sagten: «Oho, wer weiss welche Einbildung der Prinz auf deinen Besuch hätte! Er fiele vor Schreck in Ohnmacht!» und sie würden sich nicht getrauen, sie in sein Zimmer zu lassen. Sie bettelte lange und sagte, sie wolle sofort wieder gehen, wenn sie ihn gesehen habe. Da erlaubten sie es dem Aschenmädchen.
Unter der Türe öffnete sie wieder eine Nuss, und sie wurde nochmals so schön wie die Sonne. Als der Prinz das Mädchen sah, sprang er aus dem Bett, hielt sie fest und umarmte sie. Nun war sie seine Braut. Er wurde gesund und feierte mit ihr fröhlich Hochzeit.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
sowie aus: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Ober- und Unterengadin, Schams und Oberhalbstein
Caspar Decurtins, Ursula Brunold-Bigler (Hg.), Kuno Widmer (Übers.), Desertina Verlag
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch