Die beiden Könige

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Ein alter König wohnte mit drei Töchtern in einem grossen und schönen Schloss, gerade neben einem jungen König, der auch ein schönes Schloss hatte. Aber der war noch ledig. Der alte König dachte, der junge werde ganz sicher eine seiner Töchter zur Frau nehmen, und er hätte ihm auch sehr gerne eine gegeben. Aber der junge König heiratete eine sehr arme, doch sehr schöne junge Frau; die gefiel ihm besser als eine der Prinzessinnen. Der alte König wurde darüber sehr wütend.

Eines Tages sagte er auf einem Spaziergang mit dem andern König: «Aber warum nur hast du diese Bettlerin, die keinen roten Rappen hat, geheiratet?» Der junge König antwortete: «Sie hat mir am besten gefallen, und Vermögen habe ich genug für sie.» Da sagte der alte König: «Ja, wenn sie bloss arm wäre, doch sie ist untreu dazu.» Der König entgegnete: «Das glaube ich nicht.» Da sagte der andere: «Ich will mit dir wetten, um wieviel du willst » Und der junge König sagte: «Lass uns um unsere Schlösser wetten», und sie machten dies.

Dann verreiste der junge König für acht Tage. Der alte König überlegte sich Tag und Nacht, wie er den jungen hintergehen könne, und er war ganz durcheinander, denn er hatte Angst, er müsse ihm sein Schloss überlassen.

Eines Tages kam eine Alte zum alten König und fragte ihn, weshalb er sich derart hintersinne. Der König sagte, er müsse sich wegen etwas ganz Wichtigem den Kopf zerbrechen. Die Alte fragte, was das denn so Wichtiges sei, doch der König entgegnete, er verrate nichts. Da sagte die Alte, er solle es ihr erzählen, sie könne ihm vielleicht helfen. Jetzt erzählte der König der Alten alles, und die sagte, er solle sie nur machen lassen, sie wolle ihm schon helfen.

Eines Abends kam dann die Alte vor das Zimmer der Königin und fing an, sich auf dem Boden zu wälzen und schrecklich zu schreien, sie habe Schmerzen, sie solle sie um Gotteswillen über Nacht in ihr Zimmer lassen. Die Königin, die ein gutes Herz hatte, liess die Alte herein. Dann ging die Alte ins Bett und schaute zu, wie die Königin sich auszog. Sie sah, dass sie die Ringe und die kostbaren Halsbänder auf den Tisch legte, dann sah die Alte auch, dass sie ein schwarzes Mal auf der Brust hatte. Als die Königin tief und fest schlief, sackte die Alte den Schmuck ein und haute damit ab. Am andern Tag brachte sie alles dem alten König und sagte, im Fall, dass der junge König immer noch nicht glauben wolle, seine Frau sei untreu, solle er nur sagen, sie habe ein schwarzes Mal auf der Brust.

Als der junge König zurück war, zeigte der andere ihm die von der Alten gestohlenen Dinge: «Da schau, ob deine Frau nicht untreu ist, ich habe hier alle Schmuckstücke, die sie auf sich getragen hat.» Doch der junge König sagte: «Wer den Schmuck meiner Frau gemacht hat, der ist auch im Stand, diesen da zu machen.» Und er glaubte überhaupt nichts. Da sagte der alte König: «Ich habe sogar gesehen, dass deine Frau ein schwarzes Mal auf der Brust hat.» Da liess der junge König gleich den Kopf hängen und war wie betäubt. Er ging nach Hause und befahl seiner Frau, ihr schönstes Kleid anzuziehen. Dann gingen sie ein Stück weit zusammen, bis der Weg sich verzweigte. Dann sagte der König: «Jetzt nimmst du diesen Weg und ich jenen.»

Jeder ging also allein weiter, ohne dass die Frau wusste, was das Ganze zu bedeuten habe. Da begegnete sie einem Soldaten und sagte ihm, er solle mit ihr die Kleider tauschen, was er auch tat. In der Soldatenkleidung zog sie weiter. Dann kam sie in eine Stadt und diente beim Militär mehrere Jahre, bis sie einen hohen Grad erlangte und dazu ein hübsches Vermögen. Dann kaufte sie eine Kutsche und ein Pferd und machte sich als tapferer Soldat auf den Weg. Sie wollte schauen, wie es mit ihrem Schloss stehe.

Unterwegs kam sie zu einer Schmiede, sie stieg aus der Kutsche, um ihr Pferd beschlagen zu lassen. Während derMeister das Pferd beschlug, ging sie in die Werkstatt und sah drinnen ihren König, der arbeitete da als Schmied. Doch der junge Schmied erkannte den Soldaten nicht. Da fragte der Soldat den Meister, was für einen Burschen er in der Werkstatt habe. Der Schmied antwortete, der sei ein flotter Kerl, er arbeite fleissig, doch er sei immer traurig. Darauf fragte der Soldat den Meister, ob der Bursche nicht mit ihm ein Stück weit in der Kutsche fahren dürfe, er müsse aber die Kleider nicht wechseln, sondern grad so schwarz, wie er sei, mitkommen. Der Meister erlaubte dies, und der junge Schmied stieg zum Soldaten in die Kutsche. Unterwegs konnte dann der Soldat aus dem Schmied alles herauskriegen, was geschehen war, nämlich wie der alte König ihren Mann hintergangen hatte. Aber der Schmied erkannte den Soldaten überhaupt nicht.

Dann ging der Soldat in die Stadt, wo der alte König wohnte und erzählte alles den Richtern. Darauf liess der Soldat in seinem Schloss ein Festessen zubereiten und bezahlte alles im voraus. Dann lud er den alten König mit seiner Familie und auch die Richter mit vielen vornehmen Herren ein; denen hatte der Soldat vorher alles erzählt, wie es ihr und ihrem König gegangen war. Auch der Schmied, der ganz russig war, musste zum Festessen kommen. Doch er wusste noch nicht, wer der Soldat war.

Bei Tisch erzählten die vornehmen Herren alles, was der alte König mit dem jungen gemacht hatte, und der konnte kein Wort herausbringen. Auf der Stelle musste der alte König das Schloss mit allen Reichtümern zurückgeben, und er selber wurde zum Tod verurteilt. Dann konnte der Schmied wieder als König in seinem Schloss wohnen, und der Soldat blieb auch bei ihm. Doch jetzt kam ihm seine Frau in den Sinn, und er weinte Tag und Nacht. Da sagte der Soldat: «Jetzt hör auf um deine Frau zu weinen, ich bin’s!» Sie legte dann die Soldatenkluft ab und zog ihre schönen Kleider von früher an. Und sie lebten dann noch viele schöne Tage und Jahre glücklich zusammen.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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