Es war einmal ein Müller, der hatte drei sehr schöne Töchter. Nach einiger Zeit kam zu ihm ein vornehmer Herr, der bat ihn, ihm eine seiner Töchter zur Frau zu geben. Der Müller gab ihm die Älteste, und der vornehme Herr ging mit ihr auf sein Schloss. Eines Tages, als der Mann fort war, gab er seiner Frau den Schlüssel zu allen Zimmern und sagte, sie könne überall hinein, ausser in das und das Zimmer.
Als er fort war, öffnete die Frau alle Zimmer und schaute überall hinein, ausser ins verbotene. Aber da der Mann längere Zeit wegblieb, nahm es sie mehr und mehr wunder, was in diesem Zimmer war. Sie trat ein und sah Menschenfleisch drin. Da erschrak sie fürchterlich, sie liess das Ei fallen, und das war nachher voll Blut. Sie konnte es waschen, sooft sie wollte, es wurde nicht sauber. Bald darauf kam der Mann nach Hause, und als er sah, dass das Ei Flecken hatte, tötete er seine Frau.
Danach ging er wieder zur Mühle, er wollte die mittlere Tochter zur Frau, und der Müller gab sie ihm. Der vornehme Herr führte sie aufs Schloss. Nach einiger Zeit verabschiedete er sich von seiner Frau, gab ihr ein schönes Ei sowie die Schlüssel zu allen Zimmern und sagte ihr, sie könne überall hineingehen, ausser in das und das, da dürfe sie nicht hinein.
Die Frau machte das so, doch schliesslich siegte die Neugier, so dass auch sie das verbotene Zimmer öffnete. Da sah sie die Leiche und die Kleider ihrer Schwester. Da erschrak sie derart, dass sie das Ei ins Blut fallen liess. Auch sie konnte die Blutflecken auf dem Ei nicht abwaschen, und als der Mann zurück war und das Ei sah, tötete er sie wie ihre Schwester.
Der vornehme Herr ging zum dritten Mal zum Müller und wollte die Jüngste zur Frau. Nach langem Bitten gab sie der Müller. Auch sie nahm der Herr auf sein Schloss, und nach einiger Zeit, bevor er wegging, gab er auch ihr ein Ei sowie die Schlüssel zu allen Zimmern und sagte, sie dürfe alle Zimmer öffnen ausser einem. Als der Mann in den ersten Tagen nicht nach Hause kam, legte sie das Ei in eine Schublade und öffnete dann alle Zimmer, auch das verbotene. Darin fand sie ihre beiden ermordeten Schwestern. Da wusste sie, dass ihr Mann ein Mörder war. Der kehrte dann heim, und sie zeigte ihm das saubere Ei. Er lobte sie, dass sie folgsam gewesen sei. Doch am andern Tag, als der Mann schlief, haute sie ihm mit einem Schwert den Kopf ab und ging in die Mühle zu ihrem Vater zurück, dem sie alles erzählte.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch