Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten drei Söhne. Der Vater und die Mutter waren alt und sagten den Kindern, sie müssten verdienen gehen. Der Älteste sagte, er wolle dies tun und zog fort. Da begegnete er einem alten Mann, der fragte ihn, wohin er gehe. Der Bursche antwortete, er gehe verdienen. Der alte Mann meinte: «Was willst du denn verdienen gehen? Geh nur nach Hause und sage, du kennst die Leute.» Der Vater meinte, es nütze nicht viel, die Leute zu kennen.
Dann sagte der zweite Sohn, er wolle schauen, ob er etwas verdienen könne. Er ging ein Stück weit und begegnete dem alten Mann, der fragte, wohin er gehe. Der Bursche antwortete, er gehe verdienen. Der Alte sagte, er solle nach Hause und sagen, er kenne das Fleisch. Er tat, was der Alte ihm geraten hatte. Der Vater brummte, es nütze nicht viel, das Fleisch zu kennen, weil sie keines zu essen hätten.
Zuletzt sagte der Jüngste, er wolle sehen, ob er etwas verdienen könne. Dann ging er ein Stück weit, da begegnete er dem alten Mann; der fragte, wohin er gehe. «Geld verdienen», antwortete der Bursche. Der Alte sagte: «Du, geh nach Hause und sag, dass du den Wein kennst!» Auch er ging nach Hause und sagte, er kenne den Wein. Der Vater meinte, das bringe nicht viel, da sie keinen Wein zu trinken hätten. Da beschlossen die drei Brüder, zu dritt einen Verdienst zu suchen.
Sie gingen ein gutes Stück weit und kehrten in ein Wirtshaus ein. Sie waren gerade beim Nachtessen, als der Wirt in die Stube trat. Zwei standen auf und zogen höflich den Hut, der dritte aber tat so, als sähe er den Wirt überhaupt nicht. Sie assen dann weiter; der eine nahm das Fleisch nicht, und der andere trank den Wein nicht. Nachher gingen sie zu Bett, alle drei in eine Kammer.
Der Wirt war neugierig, was die drei seltsamen Vögel untereinander verhandelten. Er ging zur Tür hinauf und belauschte sie. Der mittlere Bruder sagte zum Älteren: «Warum hast du den Hut nicht gezogen, als der Wirt in die Stube gekommen ist? Er, solch ein Herr!» Der Älteste antwortete: «Der ist nicht besser als ich, denn er ist ein Bastard und ich nicht!» «Aber weshalb hast du das Fleisch nicht gegessen, so ein gutes Fleisch?» Der mittlere Bruder antwortete: «Ich esse kein Fleisch von einer toten Hündin.» Jetzt fragten die beiden älteren Brüder den Jüngsten: «Warum hast du den Wein nicht getrunken?» Der Jüngste sagte: «Ich trinke keinen Wein aus einem Fass, worin die Magd ihr Kind geworfen hat!»
Danach ging der Wirt zu seiner Mutter und fragte sie, ob das stimme, dass er ein Bastard sei, und auf sein Drängen hin gab sie es zu. Dann ging er zur Magd und fragte sie, welches Fleisch sie den drei Burschen gekocht habe, und erschrocken gestand sie, dass es das Fleisch der toten Hündin war. Nachher stieg er in den Keller hinunter, untersuchte das Fass und fand darin ein totes Kind.
Jetzt war der Wirt davon überzeugt, dass die Brüder sich in der Zauberkunst auskannten, deshalb stellte er alle drei ein und gab ihnen einen guten Lohn. Am nächsten Tag lud der Herr den Bruder, der die Menschen kannte, zu einem Fest ein. Er solle ihm eine Braut aussuchen. Den Burschen liess manche kalt, die dem Herrn gefallen hätte. Da kam eine daher, die dem Knecht passte und er sagte zum Herrn: «Das ist eine gute Frau für dich!» Der Herr nahm die Braut zu sich, und sie machten eine prachtvolle Hochzeit und lebten viele Jahre in Frieden. Die drei Brüder aber hatten es gut beim Wirt.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.