Es war einmal vor vielen, vielen Jahren ein König, der hatte drei Söhne. Als er alt war, sagte er, er gebe dem die Krone, welcher ihm das schönste Taschentuch bringe.
Da zogen alle drei Prinzen in die Welt hinaus, um ein schönes Tuch zu finden. Der Jüngste, den man für einen Dümmling hielt, ging allein in den Wald. Mitten im dunklen Wald kam er zu einem grossen und schönen Schloss. Aus der Fensterluke schaute eine weisse Katze, und die fragte den Ritter: «Wohin gehst du?» «O, ich suche Arbeit», antwortete der junge Prinz. Da bot die weisse Katze ihm an, bei ihr zu arbeiten, denn sie könne ihm einen guten Lohn zahlen. Dies gefiel dem jungen Mann, und er trat in den Dienst der weissen Katze. Er hatte nichts anderes zu tun, als zwei Gänse zu füttern. Am Ende des Jahres verlangte der junge Mann von der Katze als Lohn ein schönes Taschentuch. Da gab die Katze ihm ein versiegeltes Päcklein und sagte: «Geh jetzt nach Hause, aber öffne das Päcklein erst, wenn du bei deinem Vater bist!»
Die beiden anderen Brüder waren schon eine Weile vorher zu Hause angelangt, und der Vater wollte die Krone einem von ihnen geben. In dem Augenblick kommt der Jüngste und gibt dem Vater das versiegelte Päcklein. Neugierig bricht der Vater die Siegel auf und zum Vorschein kommt ein Taschentuch, worauf Sonne und Mond gestickt sind - ein Stück, wie es keines mehr gibt. Wäre es nach der Abmachung gegangen, so hätte das Königreich dem Jüngsten gehört, doch die älteren Brüder bedrängten den Vater so lange, bis er die Krone dem versprach, welcher die schönste Frau heimbringe. Diesmal, so denken sie, hätten sie das Ziel getroffen und dem Jüngsten in die Suppe gespuckt.
Ganz traurig ging der Jüngste in den Wald zurück und erzählte der Katze die Geschichte. Da sagte sie: «Tu nur, was ich dir sage, dann wird alles gut gehen. Hole mich morgen von der Ofenbank hinunter, binde mir die Pfoten paarweise zusammen, und dann begrabe mich unter der Dachtraufe! Geh danach in die Stube hinauf und schau, was dort ist!» Der junge Mann konnte das im ersten Augenblick nicht verstehen, aber auf Befehl der Katze versprach er, es zu trotzdem zu tun, und er legte sich schlafen.
Am andern Morgen, als der Bursche aufstand, goss es scheusslich. In der Stube fand er die Katze halbtot. Aber er band ihr ohne Angst die Pfoten paarweise zusammen, ging zur Dachtraufe, schaufelte ein Grab, warf die Katze weinend hinein und schüttete es zu. Dann ging er in die Stube zurück. Dort fand er die schönste Jungfrau, die man sich vorstellen kann. Sie umarmte ihn und gab ihm einen prachtvollen Ring mit den Worten: «Du hast mich erlöst, denn ich bin in eine weisse Katze verzaubert worden.»
Darauf gab es prächtiges Wetter. Beide nahmen ein Pferd aus dem Stall des Schlosses und ritten zum König. Die beiden älteren Brüder brachten im Gegensatz zum Jüngsten hässliche Schlampen mit. Der Jüngste wurde König und seine Braut Königin.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch