Der dankbare Frosch

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Vor Jahrhunderten lebte ein mächtiger König, der hatte drei Söhne. Einmal wurde der König schwer krank. Der Arzt erklärte, nichts könne den Kranken heilen ausser dem Gesang eines Vogels, der im Land der Mohren sei. Darauf gab der König seinem ältesten Sohn einen vollen Geldbeutel und befahl ihm, den Vogel zu holen. Der Prinz ging voller Mut weg, kam aber nicht mehr zurück.

Nach ein paar Jahren ging der mittlere Bruder, doch auch auf ihn wartete man vergebens. Da nahm der Jüngste einen Beutel voll Goldtaler und ein grosses Schwert und machte sich auf, den Vogel zu suchen.

Nach einigen Tagen kam der Prinz in eine Stadt und da sah er die Leute einen Toten durch die Strassen schleifen. Im Wirtshaus fragte der Königssohn, weshalb sie den Toten durch die Strassen zögen. Wer seine Schulden nicht bezahlen könne, werde hier nach seinem Tod so behandelt, gab der Wirt zur Antwort. Der Prinz, der ein Herz wie Gold hatte, ging darauf zum König dieser Stadt, bezahlte dort die Schulden des Toten und liess ihn begraben, wie es sich gehört.

Als er am andern Morgen durch einen Wald ging, hörte der Prinz hinter sich rufen: «Wart ein wenig! Warte!» Als er zurückschaute, kam ein Frosch daher, der hüpfte aufs Pferd und sagte: «Ich bin die Seele des Toten, den du hast begraben lassen, und ich bin gekommen, um dir zu helfen. Mach nur, was ich dir sage, dann wird’s dir gut gehen!»

Im Land der Mohren befahl ihm der Frosch, in der Nacht zum Turm zu gehen, wo der König der Mohren den Vogel hatte und wo viele, viele Wachen aufgestellt waren. Er solle die Mauer hoch klettern, den Vogel aus dem Käfig nehmen und wieder herunterkommen. Aber er müsse schauen, ausser dem Vogel nichts anderes mitzunehmen. Am Abend begab sich der Prinz zum Turm, und während der Nacht kletterte er bis zum Zimmer hinauf, wo der bewachte Käfig stand. Aber die Soldaten schliefen, und der Bursche konnte den Vogel ohne Mühe aus dem Käfig herausholen. Aber als er den schönen goldenen Käfig anschaute, reute es ihn, das schöne Stück dazulassen, und er versuchte trotz dem Befehl des Frosches, den Käfig mitzunehmen. Darob erwachten die Soldaten, und sie packten ihn und führten ihn als Dieb ins Gefängnis. Aber im Gefängnis besuchte ihn der gute Frosch. «Schau, wie es geht, wenn man seinen Kopf durchsetzen will und habgierig ist!» sagte er. Da weinte und jammerte der Bursche, aber der Frosch tröstete ihn und sagte: «Lass nur, ich will dir schon helfen! Der König wird dir morgen das Leben schenken, wenn du versprichst, ihm das Pferd eines seiner Nachbarkönige zu bringen. Und das versprich nur! Machst du, was ich dir sage, so haben wir in kurzer Zeit das gewünschte Tier!»

Am andern Morgen liess der König den Burschen zu sich kommen und versprach ihm die Freiheit und den Vogel, wenn er ihm das weisse Pferd seines Nachbarn bringe. Darauf ritt der Prinz fort, und er und sein Frosch kamen bald in die Stadt des Königs, der das prächtige weisse Pferd besass. Wieder befahl der Frosch dem Burschen, was er nachts zu tun habe, um das Pferd zu holen. Aber er ermahnte ihn auch, nichts anderes anzurühren.

Ohne dass die Wachen etwas merkten, schaffte es der Bursche, in den Stall zu gelangen, wo das weisse Pferd stand. Schon hatte er das Pferd unbemerkt losgebunden, da sah er in einer Ecke eine schöne Decke. «Das wäre eine Decke für mein Pferd», dachte er. Und er vergass den Frosch und fasste die Decke an. In dem Augenblick erwachte ein Wächter, er schlug Alarm, und der Prinz landete wieder im Gefängnis.

Der Frosch besuchte ihn auch diesmal und machte ihm Vorwürfe. Aber als er sah, wie sehr der Prinz sich vor dem Henkersschwert fürchtete, sagte er: «Dieser König schenkt dir die Freiheit, wenn du versprichst, ihm die schöne Prinzessin zu bringen, die in der nächsten Stadt von zehn Drachen bewacht wird.» Am andern Morgen musste der Prinz vor dem König alles erzählen, wozu und warum er das Pferd nehmen wollte.

Als der König die Geschichte hörte, sagte er: «Wenn du mir die schöne Prinzessin bringst, welche in der nächsten Stadt von zehn Drachen bewacht wird, sollst du das Pferd bekommen.» «Das will ich versuchen», antwortete der Prinz, und darauf liessen sie ihn frei.

Noch am gleichen Abend kam er mit dem Frosch zu einem uralten Schloss, wo die schöne Prinzessin war. Mit Hilfe des guten Frosches gelang es dem Prinzen, nachts ins Zimmer der Prinzessin zu kommen. Und weil er den Rat des guten Gefährten befolgte, nahm er nur die Prinzessin mit, und so konnte er mit ihr ohne Mühe das Schloss verlassen. Der Frosch hielt schöne Kleider für die Prinzessin bereit, und sobald sie angezogen war, ritten sie im Galopp davon.

Aber unterwegs verliebte sich der Königssohn fest in die befreite Prinzessin, und der schöne Bursche gefiel ihr auch. Und die Prinzessin versprach ihm Treue und gab ihm zum Zeichen dafür die Hälfte ihres Ringes.

Als sie in der Stadt des Königs waren, dem das weisse Pferd gehörte, überliess der König sogleich, als er die Prinzessin sah, dem Burschen das Pferd. Aber der Bursche auf dem Pferd äusserte noch den Wunsch, die befreite Prinzessin küssen zu dürfen. Dies erlaubte der König ohne Argwohn. Doch während der Bursche die Prinzessin küsste, packte er sie, zog sie aufs Pferd und gab dem die Sporen, so dass sie durch die Luft flogen.

Bald waren sie in der Stadt, wo der König mit dem Vogel wohnte. Der König gab voller Freude über das weisse Pferd dem Prinzen den Käfig mit dem Vogel. Doch der Prinz bat auf den Rat des Frosches hin, nochmals mit dem schönen weissen Pferd durch die Stadt reiten zu dürfen, doch statt zum König zurück, galoppierte er heimwärts.

Nachdem der Prinz den Vogel auf diese Weise erworben hatte, nahm der Frosch von ihm Abschied. Aber er gab ihm noch auf den Weg den Rat: «Kaufe kein Fleisch vom Galgen!»

Als der Prinz auf dem Heimweg in eine Stadt kam, sah er eine Menge Leute um den Galgen herum versammelt. Als er hinging, um zu schauen, was los sei, sah er seine beiden Brüder mit einem Strick um den Hals. Er befahl den Henkern zu warten, und als er sie fragte, weshalb die beiden gehängt würden, gaben sie ihm zur Antwort, das seien Spitzbuben, die gestohlen und betrogen hätten. Mit einer grossen Geldsumme kaufte er schliesslich seine beiden Brüder los und reiste mit ihnen zusammen heim.

In einem dunklen und grossen Wald blieben die beiden Brüder ein wenig zurück, und als sie unter sich waren, führte der Teufel sie in Versuchung: «Was sollen wir dem Vater sagen, wenn wir nach Hause kommen, und der Jüngste erzählt, wie er uns gefunden hat?» begann einer zu reden. «Wir verlieren die Krone und die Ehre!» sagte der andere. So gab ein Wort das andere, und die beiden wurden sich einig, ihren guten Bruder umzubringen. Bald fanden sie dazu eine gute Gelegenheit. Am Strassenrand war ein schrecklich tiefer Brunnen, und dorthin lockten sie den Prinzen, und als er in die Tiefe schaute, gaben sie ihm einen Stoss, und er stürzte ins dunkle Loch hinunter. Als die Prinzessin das sah, jammerte und weinte sie, doch die beiden Rohlinge drohten ihr mit dem Tod, wenn sie das Maul nicht halte. Und sie gingen zu ihrem Vater, dem König. Sobald der König den ersten Pfiff des Vogels hörte, war er gesund. Und er gab ein Festessen, gleichzeitig auch zu Ehren der Prinzessin, mit welcher der älteste Prinz bald Hochzeit machen wollte.

Unser Ärmster im Brunnenschacht unten war ganz verzweifelt, und er konnte nichts anderes tun, als schreien und weinen. Aber auf einmal kam der Frosch zu ihm. «Habe ich nicht gesagt: kaufe kein Fleisch vom Galgen!», warf er ihm vor. Doch der Frosch gab dem unglücklichen Burschen ein paar Schuhe, mit denen er sieben Stunden weit in einem Schritt gehen konnte.

Mit diesen Schuhen war er gleich zu Hause. Dort ging er in die Küche und fragte schüchtern nach Arbeit. Der Koch, der ihn wegen seiner schmutzigen und dreckigen Haare und Kleider nicht erkannte, erlaubte ihm, Holz hinaufzutragen. Doch als der Koch wegging, legte der Bursche den halben Ring der Prinzessin in ein Küchlein, welches für den Tisch des Königs vorbereitet war. Die Prinzessin bekam genau dieses Küchlein, und als sie den halben Ring sah, rannte sie in die Küche und erkannte sogleich ihren Bräutigam. Dann ging der Frosch mit den beiden in die Stube und erzählte vor dem König, den Geistlichen und den vornehmen Herren die Geschichte des jüngsten Prinzen, und was sie ihm angetan hatten. Darauf gab der alte König dem Jüngsten die Krone, und am gleichen Abend fand die Hochzeit mit der Prinzessin statt. Vier Pferde rissen die beiden bösen Brüder in Stücke.

 

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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