Einmal nahm ein armer Bauer einen Schmied zum Paten für seinen Buben. Als sein Patenkind erwachsen war, bot der Schmied ihm an, ihm sein Handwerk beizubringen. Der Patensohn blieb zwei Jahre bei seinem Paten in der Lehre.
Eines Abends, als der Pate weg war, fand er zwischen den Werkzeugen einen alten Schlüssel. Er nahm ihn und drehte ihn hin und her. Sogleich erschien ein schwarzer Mann und fragte: «Was verlangst du?» - «Gar nichts», antwortete der Bursche, versteckte aber den Schlüssel im Hosensack und lief am andern Tag dem Schmied davon.
Zu Hause drehte er wieder den Schlüssel, und im Nu erschien der schwarze Mann und fragte, was er wolle. «Ein schönes Schloss», antwortete er, und im gleichen Augenblick wurde sein Haus in das schönste Schloss, welches man sich wünschen kann, verwandelt. Später heiratete er die Tochter des Königs, und er war ein sehr reicher und vornehmer Mann.
Eines Tages aber warf seine Mutter den Zauberschlüssel unabsichtlich zum Alteisen. Der Pate vernahm das, und einmal, als sein Patensohn am Schloss Arbeiten ausführen liess, verkleidete er sich als Maurer. Er ging zur Mutter des Burschen und sagte, der Herr habe ihn geschickt, Alteisen zu holen. Die Mutter schickte ihn hinauf in die Kammer mit dem Alteisen, und dort fand er bald den Schlüssel. Als er ihn drehte, erschien sogleich der schwarze Mann. «Was willst du?» «Dass ich, das Schloss und die Frau meines Patensohnes ans andere Ufer des Meeres getragen werden!» Und das geschah auch.
Nun war der Patensohn ganz allein. Als der König hörte, dass seine Tochter und das Schloss seines Schwiegersohnes verschwunden waren, wurde er schrecklich wütend und wollte den Schwiegersohn als Hexenmeister zum Tod verurteilen. Aber am Abend vor der Hinrichtung kam ein alter Mann mit einem breitrandigem Hut zum Patensohn ins Gefängnis und sagte, er wolle ihm helfen, er solle nur mit ihm kommen.
Der alte Mann ging mit ihm übers Meer, und dort sagte er zu ihm: «Jetzt siehst du dein Schloss, geh dorthin, zieh an der Glocke und sage der Dienerin, die herauskommt, sie solle deiner Frau ausrichten, sie müsse Schlüssel aus der Rocktasche des Schmieds nehmen. Der schlafe nämlich jetzt.» Das machte er, und es gelang der Prinzessin, den Schlüssel zu ergattern. Sobald der Patensohn den Schlüssel hatte, drehte er ihn.
Und als der schwarze Mann kam, da befahl er, dass das Schloss mit allem drin, aber ohne seinen Paten, wieder am alten Ort sei. Und im gleichen Augenblick waren sie wieder zu Hause.
Am andern Morgen, als der König aufstand, war er ganz erstaunt, seine Tochter und das Schloss seines Schwiegersohnes wieder zu sehen. Aber der Patensohn vergrub den Schlüssel so tief im Boden, dass niemand ihn finden konnte.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
sowie: "Die drei Hunde", Rätoromanische Märchen aus dem Ober- und Unterengadin, Schams und Oberhalbstein, Caspar Decurtins, Ursula Brunold-Bigler (Hg.), Kuno Widmer (Übers.), Desertina Verlag
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch