Noch zur Zeit, als der Teufel öfter auf der Erde herumzog, kam er zu einer armen Frau, die Mangold holte. Ganz erstaunt schaute sie diesen Herrn in Grün an und bat ihn um ein Almosen. «Oh, wenn Ihr mir die Hälfte von dem, was Ihr unter der Schürze habt, überlässt, so will ich Euch geben, was Ihr wollt!» Unsere dumme Frau meinte, der Herr wolle den Mangold in ihrer Schürze, und sie sagte: «Es soll gelten!»
Bald darauf gebar sie einen gesunden Buben. Kaum war er auf der Welt, so kam ein Reiter auf einem weissen Pferd zum Haus und ging zur Frau hinauf. «Jetzt komme ich wegen meiner Hälfte», sagte er, «gib mir die Hälfte, welche du willst, die obere oder die untere!» «Wenn er die obere nimmt, so geht er mit der Seele weg», dachte die Frau und sagte, sie wolle die untere Hälfte geben. Da zog der schreckliche Reiter sein Schwert und haute das Kind in zwei gleiche Teile, und mit dem unteren Teil ging er so schnell wie der Wind auf und davon.
Der unglückliche Kleine wuchs zu einem schönen Burschen heran, doch er hatte keine Beine und musste kriechen wie eine Kröte.
Eines Tages kriecht er zum Müller, und dieser verspricht, um seinen Spass zu haben, dem Burschen einen Sack Mehl, wenn er ein Sieb voll Wasser bringe. Der Halbling, wie die Leute ihn nennen, kriecht zum Wasser und hält sein Sieb in den Bach. Wie er es herauszieht, liegt eine Forelle darin. «Oh, töte mich nicht, lass mich am Leben, dann will ich für dich tun, was du willst!» Da lässt der Bursche die Forelle am Leben und sagt: «Forelle! Forelle! Mach, dass ich und dieses Sieb voll Wasser in der Mühle drüben sind!» In dem Augenblick sieht der Müller ganz erstaunt den Halbling mit seinem Sieb voll Wasser zur Tür hereinkommen. «Nimm nur diesen Sack Mehl da, wenn du ihn tragen kannst!» sagt der Müller lachend und denkt, der Bursche könne einen solchen Sack nicht von der Stelle rücken. Doch der Halbling muss nur sagen: «Forelle! Forelle! Setze mich mit diesem Sack Mehl im Hause meiner Mutter ab!» und er und der Sack sind zu Hause. Die Mutter schimpft mit ihm, weil sie denkt, er habe das Mehl gestohlen. Da ist der Halbling wütend zum Haus hinaus.
Genau an dem Abend ist im Königsschloss eine Gesellschaft, und er geht hin. Als er die schöne Königstochter sieht, verliebt er sich in sie und sagt: «Forelle! Forelle! Lass die Königstochter von mir schwanger werden.» Das passiert, und die Königstochter bekommt später einen schönen Buben. Aber als der König vernimmt, wer der Vater seines Enkels ist, lässt er die Tochter, den Halbling und das Kind in ein Fass werfen und den Deckel vernageln, damit sie nie mehr herauskönnen. Und dann lässt er das Fass ins Wasser werfen. Aber unser Halbling sagt: «Forelle! Forelle! Lass mir Beine wachsen, schlage den Deckel des Fasses ein und schwemm uns an eine liebliche und schöne Insel.» Das alles hat die Forelle getan, und sie landen auf einer Insel, die ein einziger fruchtbarer Garten ist. Mitten auf der Insel steht ein prachtvolles Schloss, das ganz für sie allein eingerichtet ist, und sie bleiben dort.
Aber den König plagte das Gewissen, und er brach auf, um überall auf dem Meer seine Tochter zu suchen. Auch auf die Insel, wo der Halbling war, kam der König. Aber weil der jetzt schöne Beine hatte, erkannte der König ihn nicht und auch seine Tochter nicht. Am Abend kam der König ins Haus des Halblings, und der beherbergte ihn. Zufällig liess der König eine Hand aus dem Bett heraushängen. «Geh hin und lege die Hand deines Mörder-Grossvaters aufs Bett!» sagte die Frau zu ihrem Kind. Als der König diese Worte hörte, ohne ihren Sinn zu verstehen, liess er den andern Arm herunterhängen. Und die Frau sagte das Gleiche nochmals. Da erkannte er seine Tochter an ihrer Stimme. Der König nahm sie und den Halbling zu sich nach Hause, und nach seinem Tod regierte der Halbling viele Tage und Jahre.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch