Ein Mann hatte einen Esel, der ihm während vielen Jahren fleissig und treu gedient hatte. Doch jetzt war er alt, hatte seine Kraft verloren und war für die Arbeit nichts mehr wert. Deshalb war es dem Meister verleidet, einen unnützen Fresser durchzufuttern, und er wollte den Esel töten. Doch der merkte dies und haute ab.
Als er ein Stück gegangen war, da begegnete er einem Hund, der hechelte, als ob er zehn Stunden gelaufen wäre, und dazu liess er noch die Ohren jämmerlich hängen. «Was keuchst du so?» fragte der Esel. «Ach», antwortete der Hund, «weil ich alt und schwach bin und nicht mehr hinter den Geissen her rennen mag, hat mich mein Meister totschlagen wollen. Doch ich habe mich rechtzeitig retten können. Aber jetzt weiss ich nicht, wie ich mich durchbringen kann.» «Komm mit mir», sagte der Esel, «wir werden schon irgendwo eine Arbeit finden!»
Kurz danach begegneten sie einer Katze, die mutlos am Weg sass und eine traurige Miene machte. «Warum schaust du so finster drein?» fragte der Esel. Die Katze antwortete. «Wie kann man fröhlich sein, wenn man weiss, dass es mit einem auf dieser Welt zu Ende geht? Da meine Zähne abgewetzt sind, sitze ich, jetzt alt, lieber hinter dem Ofen und schlafe, als den Mäusen nachzuspringen. Deshalb hat meine Meisterin mich ertränken wollen.» Da erzählten der Esel und der Hund auch ihre Geschichte, sie trösteten die Katze und ermunterten sie, mit ihnen zu kommen. Der Katze, die nicht wusste, was anfangen, war dies ganz recht, und sie schloss sich ihnen an.
Nach einer Weile kamen sie zu einem Hof. Da war ein Hahn, der krähte aus vollem Hals. «Was, gibt es heute schönes Wetter, dass du so früh und so laut krähst?» fragte der Esel. Der Hahn schaute den Esel traurig an und sagte: «Ach, heute krähe ich wahrscheinlich zum letzten Mal. Vor zwei Tagen hat der Habicht eine Henne geholt, und jetzt hat die Meisterin das Vertrauen in mich verloren. Grad heute habe ich gehört, dass sie zur Köchin gesagt hat: ‹Morgen ist Kirchweih, und ich habe gedacht, dass unser alter Hahn an diesem Tag eine gute Suppe abgibt, du kannst ihm heute Abend den Kopf abhauen. Ich will dann einen jüngeren und wachsameren kaufen.›» «Du armer Kerl», sagte der Esel, «komm mit uns, wir wollen schon schauen, dass wir über die Runden kommen!» Dem Hahn war dies recht, und er ging mit ihnen weg.
Unterwegs beschlossen sie, als Musikanten in eine Stadt zu ziehen. Gegen Abend kamen sie in einen Wald. Sie wollten hier über Nacht bleiben. Der Esel und der Hund legten sich unter einen Baum. Die Katze kletterte auf den Ast einer Tanne, und der Hahn flog zuoberst auf eine Baumspitze. Vor dem Schlafen schaute der Hahn noch herum, ob alles in Ordnung sei. Und da sah er von weitem ein Licht. Er sagte dies seinen Gefährten, und sie beschlossen gleich, sich dorthin zu begeben, vielleicht bekämen sie ein besseres Nachtlager.
Sie brauchten nicht lange zu gehen, so wurde das Licht grösser und grösser, und auf einmal standen sie vor einer Räuberhöhle. Der Esel schaute zum Fenster hinein und sah, dass die Räuber am Tisch sassen und alles Mögliche assen und tranken. «Das würde uns auch guttun», sagte die Katze, «wenn wir nur wüssten, wie wir diese Fresser davon jagen könnten!» Schliesslich beschlossen sie, den Räubern einen zünftigen Schrecken einzujagen. Der Esel stellte sich mit seinen Vorderbeinen auf das Fenstersims, der Hund stieg auf den Esel, die Katze auf den Hund, und der Hahn flog auf den Kopf der Katze. Dann fing der Esel an zu schreien, der Hund zu bellen, die Katze zu miauen, und der Hahn krähte ‹kikerikiki!›. Dann brachen sie durchs Fenster ein und stürzten in die Höhle. Die Räuber erschraken derart, dass sie sich aus dem Staub machten. Die vier Kameraden aber setzten sich an den Tisch und liessen sich die Braten und die Torten schmecken.
Als sie genug gegessen und getrunken hatten, legten sie sich aufs Ohr. Die Katze ging auf die Herdplatte, der Hund legte sich neben die Haustüre, der Esel wollte sich auch in der Nähe hinlegen, und der Hahn flog aufs Dach.
Den Räuberhauptmann aber reute es, so schnell davongelaufen zu sein, und er befahl einem seiner Kumpane, er solle nachschauen, was in der Höhle los sei. Der Räuber wollte zuerst in die Küche, um das Licht anzuzünden. Doch weil er die Augen der Katze für Glut hielt, stach er ihr mit einem Zündholz ins Auge. Da sprang die Katze ihm ins Gesicht und zerkratzte ihn zünftig. Der Räuber wollte hinausrennen, doch dann biss der Hund ihn tüchtig in die Waden, und als er am Esel vorbei wollte, schlug der hinten aus, so dass er fast umgefallen wäre, und der Hahn krähte aus vollem Hals ‹kikerikiki!›.
Der Dieb rannte, was er konnte, zu den andern und erzählte, in der Küche sei eine Hexe, die ihn zerkratzt habe, neben der Türe sei ein Mann, der ihn mit einem Messer in die Beine gestochen habe, ein anderer habe ihn mit einem Prügel verhauen, und auf dem Dach sei eine andere Hexe, die geschrien habe: «Fangt den Halunken dort drüben!» Die Räuber trauten sich nie mehr in die Höhle zurück, und die vier Kameraden konnten lange und gut von den Vorräten darin leben.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch