So oft ein Emmenthaler-Senne im Herbste von seiner Alpe zog und heimfahren wollte, musste er eine Kostkuh droben im Stalle stehen lassen; anders konnte er niemals glücklich das Thal wieder erreichen. Die Kostkuh ist jenes Thier eines ganzen Stosses, das dem Sennen zu seiner eigenen täglichen Nahrung zusteht, so lange er auf der Alp käset, das also am meisten um ihn ist und besonders vertraut und lieb wird. Von jener preisgegebenen Kuh aber fand man dann im kommenden Jahre, wenn man wieder den Berg befuhr, nichts mehr im Stalle, als das am Baren stehende Gerippe.
Nun war der Senne eben wieder heimgekehrt, und wie üblich war auch diesmal das bestimmte Stück, die hübsche Kuh, droben allein zurück geblieben. Aber diesmal konnte sie der Sennknecht nicht vergessen und verschmerzen; sie reute ihn zu sehr. Er liess mit Bitten nicht ab, bis ihm zuletzt der Meister erlaubte, sie nachholen zu dürfen. Also nimmt er eine Kienfackel, ein Stück Brod und den grossen Hund mit auf den Weg, und erreicht spät am Abende die verlassene Hütte. Sogleich schaut er in den Stall. Da steht denn die arme Blumi noch und brüllt ihm freundlich zum Melken entgegen.
Ehe er dies thut, will er erst sein Herdfeuer anmachen, damit er sich die frischgemolkene Milch sieden kann; denn draussen bläst der Schneewind und er selber ist tüchtig zusammengefroren. Auch wäre es unmöglich, den weiten Weg bei eintretender Finsterniss und mit dem Thiere heute noch zurück zu machen; also richtet er sich gleich aufs Uebernachten ein. Sein Feuer löscht ihm aber trotz aller Bemühung immer von Neuem aus, das Holz fährt zischend und knallend vom Herde, obschon die Fichtenwedel nicht grün oder nass sind. Aergerlich darüber, dass ihm Alles missräth, lässt er endlich das Feuer unangemacht, die Kuh ungemolken und also auch die Milch ungetrunken; aus Eigensinn mag er nicht einmal sein Stück Brod aus dem Sacke ziehen, sondern nüchtern steigt er hinauf übers Heu und legt sich in sein Gaster (Kammer) zum Schlafen.
Aber auch zum Einschlafen soll's nicht kommen. Denn alsbald entsteht unter ihm in der Hütte ein grosses Gepolter. Er hört alle Vorkehrungen machen zum Milchsieden und Käsen. Der Wellkessel mit dem grossen Eisenring wird klirrend an den Turner gehangen, dann wird dieser wagrechte Balken über den Herd hergedreht, dass man ihn laut knirschen hört; nun spratzelt auch vernehmlich drunter die Flamme schon. Alsbald kommt Jemand über den Melkgang hergeschritten und herauf zum Sennen; eine unkenntliche Gestalt ist's, die ins Gaster hereintritt und ihn essen und trinken heisst, was sie ihm darreicht. Es ist Alles stockfinster und dem Knechte will's grausen; endlich nach längerem Weigern trinkt er doch und merkt, es ist frische, kuhwarme, herrlichgute Milch. Nun soll er auch essen, was Jener ihm ins Gesicht schiebt. Beim ersten Versuch beisst er auf Fleisch.
Aber nun weigert er sich hartnäckig, mehr zu nehmen, und ist schon entschlossen, sich mit Gewalt zu widersetzen. Hierauf verschwindet die Gestalt und drunten scheint es still zu werden. Beim frühesten Morgen steigt der Knecht hinunter, findet das Herdfeuer noch glimmend, zündet daran seine Fackel an und geht mit seinem Hunde in den Stall. Die Kuh ist noch lebendig. Sogleich nimmt er sie am Strick heraus, geht ihr mit der Fackel voran und der Hund muss hart hinterdrein laufen. So kann ihm der Schwarze nichts anhaben, der nun mit entsetzlichem Getöse hervor aus der Hütte bricht und die Dreie über die Alpe bis zur ersten Staffel (oberster Weidezaun) hinunter verfolgt. Glücklich langen sie zu Hause an.
Da steht schon der Meister mit Weib und Kind und schaut ihnen entgegen; alle sehen zugleich, dass die Kuh hinkt. Man untersucht sie, aber nichts fehlt ihr als oben am Hinterfuss ein schon vernarbtes Stücklein, gerade so gross wie jener Bissen Fleisch, den der Knecht in voriger Nacht im Gaster hat essen müssen.
(Mündlich von einem jungen Mann aus dem Bernerlande.)
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 321
Zwergensagen aus anderen Schweizerkantonen
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch