Im Zürcheroberland liegt, hoch oben, mit einer weiten Ausschau übers schöne Schweizerland, das Dörflein Sternenberg. Dort ist’s auch nicht ganz geheuer, denn bei Neumond soll dort ein gespenstiges Ungetüm, Mutheseel genannt, unversehens aus der Berggass den ganzen Sternenberg hinunterrasseln, und wer ihr nicht entfliehen könne, werde zu lauter Häckseln zerschnitten, als ob er dem Vieh vorgeworfen werden sollte.
Eines Nachts nun kam ein Bauer schwer schnaufend den Berg heraufgegangen. Brummend und fluchend, ganz entgegen der sanftmütigen Art der Sternenberger, stieß er einen großen Schiebekarren vor sich her. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, zog die Pelzkappe ab, die er beim wärmsten Sommerwetter auf dem Kopf hatte, und trocknete sich angelegentlich den Schweiß aus dem Gesicht. Und da es dunkel war wie in einem Brunnendünchel, schaute er immer himmelauf, ob denn nicht ein paar freundliche Sterne sich zeigen wollten, die ihm den schwierigen und steilen Pfad etwas hätten erhellen können. Und als er nun mit seinem wüsten Fluchen ein Zeitchen innehielt, ließen sich wirklich ein Schärlein Sterne sehen, die sich sogleich zu einem goldenen Ringelreihen auseinander taten. Und sie leuchteten also herrlich, dass der Bauer sie nur so anstaunen musste. Nun ward’s ihm auf einmal klar und windheiter, warum der Berg ob ihm Sternenberg hieß. Und als er nun seine Fuchspelzkappe wieder über den Kopf zog und zum Stoßkarren griff, sah er auf einmal auch den Halbmond durch das auseinander gehende Gestäude. Er schien eben am Tößstock vorbei zu rennen, denn ein paar Wolken hielten ihm wie riesige Jagdrüden nach.
Es war so hell geworden, dass er fast die Zeitung hätte lesen können, wenn es damals eine gegeben hätte und er hätte lesen können. Nun sah er aber auch, dass er bald oben sei. Hatte er vorher vor Ärger also geflucht, dass sich die Nacht nach und nach zu einem Kohlensack zusammenzutun schien, so donnerwetterte und fluchte er jetzt vor lauter Freude darüber, dass er bald oben und zu Hause sei.
Da war’s ihm, er höre ob sich in der Berggass ein völlig ungewohntes Rauschen. Und wie er verwundert aufhorchte, war ob ihm plötzlich ein gewaltiges Rutschen und Rasseln, das schnell die Gass herab gegen ihn zu kommen schien, und eine Donnerstimme rief weithin durch die Nacht: „Drei Furchen aus dem Weg!“
Was, dachte der Bauer, du kommst mir so! Wer es auch sei, es soll mich niemand auf der Welt in der Weise in den Seitengraben hinabbrüllen, denn ich bin ein eingeborener Sternenberger, und der Weg ist Gemeingut.
Als es aber immer schrecklicher ob ihm rasselte, wurde es ihm doch unheimlich. Am Ende konnte ihn ja ein Fuhrwerk überfahren. Jetzt ward er aber wild, dass man so wider ihn durch die Nacht herab hulterpulterte und dazu gar noch so befehlshaberisch lärmte. Wart, machte er für sich, wart ich will dir! Du sollst nun einmal samt deinem Gefährt den Knienicker bekommen, dass du darnach auf Krücken durch die Welt hülpen musst. Also ließ er seinen schweren Stoßkarren mitten im Weg stehen und sprang schnell zur Seite, aufs staudenbestandene Bord.
Kaum stand er oben, kam’s rasselnd die Berggass herunter, und rasselnd schoss es an ihm vorbei, ohne dass er etwas zu gewahren vermochte, und mit dröhnendem Lärm und tollem Gerassel fuhr es weiter den Berg hinunter.
Aber plötzlich ward es wieder totenstill. Die Nacht schien wie erlöst aufzuatmen.
Der Bauer lag auf den Knien, denn er war vor Schrecken wie ein altmodisches Sackmesser, ein Rollenhegel, zusammengeklappt. Es war ihm, die Sterne hüpfen wie goldene Frösche am Himmel herum. Es dauerte eine schöne Weile, bis er seiner Sinne wieder mächtig ward. Dann erhob er sich und stieg zögernd vom Wegbord, denn nun war’s ihm klar geworden, dass die Mutheseel die Berggass heruntergefahren sei.
Und wie er nun in den Weg trat, sah er zu seinem Entsetzen, dass sein schwerer, grobhölziger und eisenbeschlagener Stoßkarren, in tausend Splittern verstreut, im Weg und in dem Graben herum lag, fast als wäre er durch eine Mühle gegangen und in Sägemehl verwandelt worden.
Da war er gar froh, dass er seinen Karren und nicht sich selber in den Weg gestellt hatte, und kleinlaut machte er sich nach Hause.
Meinrad Lienert, Zürcher Sagen. Der Jugend erzählt, Zürich 1918.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.