Das sonnige Freiburgerdorf Wiler vor Holz besitzt eine geräumige, altersgraue Kapelle. Schon im 14. Jahrhundert wird sie in amtlichen Schriftstücken erwähnt. Die Kapelle diente einst als Pfarrkirche, bis in Heitenried ein eigenes Gotteshaus errichtet wurde. Dem Besucher des Heiligtums fällt der kunstvoll geschnitzte Hochaltar auf, in dessen Mitte die Muttergottes thront, umgeben von den Heiligen Mauritius und Antonius dem Einsiedler.
Am 17. Januar pilgerten früher die Bewohner des unteren Sensebezirkes nach Wiler und riefen den Einsiedler als Schutzpatron gegen die ansteckenden Viehkrankheiten an. Je nach Gattung der Haustiere opferten die Landwirte dabei hölzerne Pferde, Kühe, Ferkel, Schafe, Ziegen, Hühner. Die Holzfiguren wurden nebst einer Opfermünze vor dem Bilde des Heiligen auf einen Tisch gelegt.
Die Volkspoesie hat auch das Dorfkirchlein in ihren Bann gezogen. Die Heitenrieder hatten eine grössere Kirche gebaut und wollten die grössere Glocke der Wilerkapelle für die neue Pfarrkirche verwenden. Also nahm man die Glocke vom Turm und setzte sie auf einen festlich geschmückten, mit zwei feurigen Rappen bespannten Brückenwagen. Lustig knallte der Fuhrmann mit der Peitsche und gab den Pferden das Zeichen zum Aufbruch. Stramm zogen die Rosse an, doch sie vermochten den Wagen nicht um einen Zoll vom Platze zu entfernen. Es schien, als ob die Räder am Boden festgefroren wären. Die Männer holten noch zwei weitere Pferde als Vorspann. Aber auch vier Rosse konnten den Wagen nicht von der Stelle bringen. Unruhig stampften die Tiere, und ihre Nüstern dampften vor Anstrengung. Die Fuhrleute hieben mit ihren Peitschen auf die Pferde, um sie zu grösserer Kraft anzufeuern. Vergebliche Mühe. Ratlos standen die Bauern herum. „Hier waltet eine höhere Macht“, sagten die verdutzten Männer von Heitenried. „Da muss der Herr Pfarrer helfen.“ Gesagt, getan.
Die Sache ward dem Geistlichen vorgebracht. Der fromme Seelsorger sank einige Augenblicke in tiefes Sinnen. „Ich weiss, warum ihr die Glocke nicht wegführen könnt“, rief er aus, „ihr wolltet sie ohne Erlaubnis des Bischofs entfernen“.
Sofort machte sich der entschlossene Pfarrherr reisefertig und ging nach Freiburg, um vom Oberhirten die erforderliche Genehmigung zur Überführung der merkwürdigen Glocke einzuholen. Kaum war die bischöfliche Erlaubnis erteilt, so konnte die Glocke leicht mit einem Einspänner nach Heitenried gebracht werden, begleitet von einer Riesenmenge, die der einzigartige Vorfall herbeigelockt hatte.
Heute noch hängt sie im Turme der anfangs des 20. Jahrhunderts erbauten schönen, gotischen Pfarrkirche. Ihre ernste Stimme verkündet jedes Mal den Lebenden das Scheiden eines müden Erdenpilgers. Vielen läutete sie schon zum letzten Stündlein, auch denen, die sie weggeholt haben.
P. Nikolaus Bongard
Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch