Der Hutätä raubt ein Kind

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Eine Mutter hatte ein Büblein, das am Abend nie ins Bett wollte. Deswegen gab es jedesmal ein schreckliches Gestürm und Geschrei, und Hausbewohner und Nachbarn gerieten in Aufregung. Weder Versprechungen noch Strafen halfen etwas. Der kleine Trotzkopf war nicht zu bekehren. Die Mutter verlor endlich die Geduld und entschloss sich, ein Schreckmittel anzuwenden, um dem jungen Zwingherrn seine Unart auszutreiben. Sie warnte ihn: „Wenn du heute Abend wieder schreist, so gebe ich dich dem Hutätä. Das ist ein hässlicher, kohlenschwarzer Mann. Der nimmt die Kinder, welche der Mutter nicht folgen, und trägt sie unter seinem Mantel weit, weit fort in einen finstern Wald, wo Bären brummen und Wölfe heulen. Drum, Bübchen, sei lieb, - sonst kommt er.“

Darauf befahl die Frau einem Knecht, er solle am kommenden Abend heimlich den Nachtjäger spielen, auf ihren Wink hinausgehen, einen schwarzen Mantel überwerfen, sich draussen vor das Stubenfenster stellen und mit lauter Stimme rufen: „Hu-tä-tä! hu-tä-tä!“ Sie werde darauf das Fenster öffnen und ihm das schreiende Kind hinausreichen. Er solle es alsdann unter den Mantel nehmen, um das Haus herumtragen, und im dunklen Hausflur ihr wieder in die Arme legen. Dieses Mittel werde den Schreihals wohl für immer kurieren.

Die Warnung nützte nichts. Am folgenden Abend stampfte und schrie der Junge noch ärger als je zuvor. Da gab die Mutter dem Knecht das verabredete Zeichen. Alsbald ertönte vor dem Hause der schaurige Huf des Nachtjägers. Die Mutter öffnete das Fenster, ergriff den schreienden Bub und streckte ihn hinaus. Zwei dunkle Arme tauchten aus der Finsternis empor und nahmen ihr das Kind ab. Das Geschrei entfernte sich, bog um die Hausecke und verstummte sogleich. Aber im selben Augenblick ertönte draussen wieder der Ruf: „Hu-tä-tä! hu-tä-tä !“ Was sollte das bedeuten? Da stimmte etwas nicht. Die Mutter lehnte sich zum Fenster hinaus, - und wen erblickte sie? - Den Knecht, der ihr die Hände entgegenstreckte, um das Kind in Empfang zu nehmen.

Jetzt ahnte die Frau, was geschehen war. Sie stiess einen Schrei des Entsetzens aus, rannte in die Nacht hinaus und schrie wie eine Irrsinnige unaufhörlich den Namen ihres Kindes. Das ganze Haus geriet in Aufruhr. Die Nachbarn eilten mit Lichtern herbei. Man suchte drinnen und draussen, man suchte in der Nähe und in der Ferne, man suchte den ganzen Abend und die ganze Nacht. Umsonst - der Knabe war nicht zu finden. Erst im Tageslicht entdeckte man, dass hinter dem Hause an allen Obstbäumen Tuchfetzen hingen, die von den Kleidern des unglückseligen Kindes stammten.

Der richtige Hutätä war dem Knecht zuvorgekommen, hatte das Büblein geraubt und durch die Lüfte davongetragen. Man fand nie mehr eine Spur von ihm. 

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

 

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