An der alten Landstrasse von Rechthalten nach Freiburg, steht bei der Wolfeich ein hohes Kreuz. Es wurde im Laufe der Zeiten mehrmals erneuert, das letzte Mal im heiligen Jahr 1950. Sein Ursprung liegt in dunkler Zeit, und dunkel ist auch die Sage, die seine Entstehung erzählt.
In früheren Jahrhunderten gehörte ein ansehnlicher Teil des Gemeindebannes von Rechthalten einer freiburgischen Patrizierfamilie. Die Bauern, welche diesen Grund und Boden bewirtschafteten, waren Pächter. Sie mussten ihrem Herrn Zinsen und Zehnten entrichten und gelegentlich auch Frondienste leisten. - So ging auch einst einer dieser Bauern am Martinstag nach Freiburg, um seinem Herrn den schuldigen Jahreszins zu bringen. Als er in der Reichengasse das vornehme Haus betrat, ahnte er wohl nicht, welche Überraschungen hier seiner harrten. Soweit er sich erinnern konnte, hatte immer der alte, freundliche Herr das Geld in Empfang genommen. Heute aber standen ganz unbekannte, nie gesehene Leute vor ihm. Die musterten ihn spöttisch von unten bis oben und redeten französisch miteinander. Der Bauer sagte, er möchte mit dem Herrn reden. Da erklärten sie, der sei vor kurzem gestorben, und er habe den Zins jetzt ihnen abzuliefern. Da zählte der Bauer seine Gulden und Taler Stück um Stück auf den Tisch, bis die Summe voll war.
Nun kam die andere Überraschung. Die Erben fragten: „Ist das alles?“ Der Pächter antwortete: „So viel bin ich schuldig, nicht mehr und nicht weniger.“ Da riefen alle miteinander: „Nein, nein! Viel mehr, viel mehr! Wollen sie uns betrügen, heeh? Sie schulden uns noch drei weitere Jahreszinse.“ Der Bauer erklärte, das sei ein Irrtum, er habe pünktlich jedes Jahr an Martini den schuldigen Betrag entrichtet und sei nichts mehr schuldig. Nun holte einer ein grosses, in Leder gebundenes Buch herbei und schlug es auf. „Sehen Sie“, sprach er, „hier hat der Verstorbene alles eingetragen. Da - und da - und da - stehen Ihre früheren Zahlungen. Aber hier - sehen Sie - hier fehlen drei volle Jahre, die müssen sie noch bezahlen.“ Der Bauer war empört, er habe bis auf den letzten Batzen alles entrichtet und schulde nichts mehr, beteuerte er nochmals. „Dann legen sie uns die Papiere vor“, riefen die andern. Jetzt war der Mann aus Rechthalten übel dran. Er besass keine Quittungen. Sein Vertrauen auf den alten Herrn war so felsenfest gewesen, dass er ihm nie eine schriftliche Bestätigung abgefordert hätte. „Wir geben ihnen noch zwei Wochen Zeit“, sprachen die Erben, „entweder bringen sie uns die Ausweise oder das Geld. Wenn nicht, - so müssen sie Geldstag machen und Haus und Hof verlassen.“
Tief niedergeschlagen, halbverzweifelt kehrte der Unglückselige gegen Abend nach Rechthalten zurück. Ein stockdicker Nebel lag auf Strassen und Matten. So sah ihn wenigstens niemand, und das war gut, man hätte ihn sonst für einen Betrunkenen oder Verrückten gehalten. Er schüttelte beständig den Kopf, fuchtelte mit den Händen und redete zu sich selber: „Geldstag - Zwangsversteigerung - verlumpen - Frau und Kinder im Elend - das ist zum Teufelholen!“
Unter solchen Selbstgesprächen kam er bis zur Wolfeich, wo seine Wiesen und Äcker begannen. Da tauchte plötzlich aus dem Nebel eine dunkle Gestalt auf, ein langbeiniger, hagerer Mann, der fast aussah wie eine aufgestellte Heuschrecke. Der Fremde blieb vor ihm stehen und redete ihn an:
„Du hast mich gerufen. Hier bin ich.“
“Wer bist du?“ fragte der Bauer.
„Der Teufel“, antwortete der Langbeinige.
Da kam der Schreck über den Bauer, und er wollte eiligst entfliehen. Doch der Schwarze hielt ihn am Rockzipfel zurück und redete ganz lieblich: „Guter Mann, fürchte dich nicht, ich tue dir nichts zuleide. Ich will dir nur helfen.“ Er griff in die Tasche und zog einige Papiere hervor. „Schau da“, fuhr er weiter, „das sind die Quittungen, die dir fehlen. Ich habe sie extra für dich gemacht. Kannst sie haben, ich verlange ganz wenig dafür. Genau in einem Jahre komme ich wieder, dann gibst du mir das erste Lebewesen, das ich in deinem Hause antreffe. Nimmst du meine Hilfe an, dann bist du gerettet. Weisest du sie ab, so wirst du von Haus und Hof vertrieben und endest in bitterster Armut. - Nun wähle.“
Der Bauer befand sich in einer verzweifelten Lage. Lange sann er hin und her. Schliesslich dachte er: Die Frist läuft erst in einem Jahre ab, das ist eine lange Zeit. Bis dahin werde ich wohl einen Ausweg finden. Wenn Gott die Türe schliesst, öffnet er ein Fenster, so lautet ein alter Spruch.
„Ich nehme an“, sagte er zum Teufel.
„Gut gemacht“, antwortete dieser, „schlag ein, - und hier hast du die Quittungen.“
Dann verschwand er.
Es folgte der zweite Gang in die Stadt. Die Erben des alten Herrn mussten - wohl oder übel - die vorgelegten Quittungen als echt und gültig anerkennen. So war der Pächter von seiner grossen Sorge befreit.
Dafür tauchte sofort eine andere auf: Wie kann ich mich aus der Gewalt des Bösen befreien? In schlaflosen Nächten grübelte und grübelte er, fand aber keinen Ausweg. Dieser Kummer war jetzt sein ständiger Begleiter. Er wurde immer schwerer und schwerer, und er durfte es niemand sagen. Der Winter ging vorüber, der Frühling kam. Die Arbeiten auf Wiesen und Äckern forderten alle seine Kräfte und seine Zeit. Schon nahte der Sommer. Die reiche Ernte musste eingebracht werden. Früh auf, spät nieder. Keine Zeit zum Grübeln. Wie im Fluge ging der Sommer vorüber. Mit Riesenschritten eilte der Herbst heran und mit ihm der Martinstag. Noch immer keine Lösung, kein Ausweg. Jetzt wurde ihm himmelangst. Nur wenige Tage noch, dann wird der Böse zur Nachtzeit kommen und jemand brutal aus seiner Familie heraus reissen. Wen? - ihn selber - die Gattin - ein Kind? Verzweiflung fasste ihn. Oh, er hätte sich alle Haare aus dem Kopfe reissen mögen, so reute es ihn, die Hilfe des Teufels angenommen zu haben.
Da - endlich kam ein Lichtgedanke: Ich will zum Herrn Pfarrer gehen und ihm alles haargenau erzählen. Der greise Priester war nicht wenig erstaunt, als er diese Geschichte vernahm. Er dachte erst eine Weile nach, dann redete er: „Vergiss nicht! Gott ist der höchste Herr des Himmels und der Erde. Er ist’s, der unsere Schicksale lenkt. Ihm muss jede Kreatur gehorchen. Die Macht des Teufels reicht nur soweit, als Gott sie zulässt, um uns Menschen zu prüfen. Darum heisst die erste Bedingung zu deiner Rettung: Festes Gottvertrauen. Nun höre weiter. Der Satan verlangt das erste Lebewesen, das er in deinem Hause antrifft. Du meinst natürlich, das müsse ein Mensch sein. Das ist ganz falsch. Es kann auch ein Tier sein, sagen wir ein Hund, eine Katze oder nur ein Mäuslein. Nun pass gut auf, was ich dir rate. Am Abend des Martinstages bringst du ein minderwertiges Schwein in den Hausflur. An die Aussenseite der Stubentüre heftest du ein Kruzifix. Den hintern Teil des Hausganges verrammelst du fest. So wird das Schwein das erste Lebewesen sein, dem der Teufel in deinem Hause begegnet, und dir und deiner Familie kann nichts widerfahren. Wenn alles gut abgelaufen ist, dann zeige durch ein gutes Werk dem Herrgott deine Dankbarkeit.“
Es war am Martinstag gegen Mitternacht, da kam etwas wie ein Windstoss gegen das alte Bauernhaus, schüttelte die Fensterladen und schlug die Haustüre mit solcher Wucht auf, dass das ganze Haus erzitterte. Dann ertönte im Hausgang ein donnerähnliches Stampfen und Poltern, ein markdurchdringendes Schweinegeschrei, ein wildes Rennen hin und her, die Wand hinauf und wieder hinunter, zur Türe hinaus und fort. Nachbarn eilten auf den Lärm herbei. Sie sahen gerade noch, wie eine schwarze Gestalt in wehendem Mantel auf einem Schweine durch die Luft ritt. Noch lange hörte man das Tier märterlich brüllen. Das Geschrei zog sich gegen die Berge hin, wurde immer ferner, immer schwächer und erstarb endlich. Das Schwein kam nie mehr zum Vorschein. Auch Beelzebub zeigte sich nicht mehr.
So gelangte alles zum glücklichen Ende. Die habgierigen Erben in der Stadt erhielten Papier statt Geld, der Hörnlimann bekam ein Lebewesen, und der Bauer behielt Haus und Hof. Zum Danke liess er in der Wolfeich, dort, wo ihm der Teufel begegnet war, ein hohes Wegkreuz mit einem geschnitzten Christusbild erstellen.
Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch