Hockgeister

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. Der Tannbock

Westlich von Heitenried liegt das Tannholz. In diesem Walde hauste vor Zeiten ein böses Ungeheuer. Es hatte die Gestalt eines grossen, schwarzen Geissbocks und wurde der Tannbock genannt. Man wusste nicht, ob dieser ein höllisches Wesen war oder der irrende Geist eines Sonntagsjägers, eines Wald- oder Wildfrevlers. Am Tage wurde er nie gesehen. Er trieb sein Unwesen zwischen dem Abend- und dem Morgenbetläuten. Da rannte er hinter den Leuten her, und im Vorbeisausen warf er sie grob zu Boden. Oft sprang er plötzlich aus einem Gebüsch, verstellte dem Wanderer den Weg und drohte, ihn mit den Hörnern zu bearbeiten. Manche, die von ihm verfolgt wurden, flohen gegen die Pfandmatt. Der dortige Bauer besass einen grossen Hund, der den Verfolgten zu Hilfe eilte. Vor diesem Hund fürchtete sich das Ungeheuer und floh in den Wald zurück.

Einen üblen Streich spielte der Tannbock einem Schuhmacher. Der hatte in Niedermuhren auf der Stör gearbeitet. Am Abend wollte er nach Winterlingen in sein Heim zurückkehren. Man riet ihm, er solle nicht durch das Tannholz gehen, sonst werde ihn der Tannhock verfolgen und ihm gar ein Leid antun. Ob dieser Zumutung war der Schuster beleidigt, und prahlend entgegnete er: „Ich fürchte weder Bock noch Geiss - weder Mensch noch Geist. Gebt mir lieber noch ein Gläsli, das ist besser als guter Rat.“ Sie schenkten ihm eines ein. Er trank es in einem einzigen Zuge und sagte halbschlau: „Auf einem Bein kann man nicht gut laufen, noch viel weniger ein Ungeheuer bändigen.“ Da schenkten sie ihm das zweite ein. Er goss es hinunter und meinte: „Wir Schuhmacher sind gewöhnt auf einem Dreibein zu sitzen. Versteht ihr?“ Sie verstanden und schenkten ihm das dritte ein. Er warf es in einem einzigen Gutz den Schlund hinunter, bedankte sich und nahm den Weg unter die Füsse.

Als er ins Tannholz kam, rief er in einem fort mit frechem Übermut: „Tannbock, mä-ä-ä-äh! - Tannböckeli, mä-ä-ä-äh!“ Auf einmal hörte er aus der Tiefe des Tanns etwas daherspringen. Radatt-radatt-radatt machte es und nahte mit Windesschnelle. Er blieb stehen und rief: „Chomm Gitz-gitz-gitz!“ Jetzt sauste das Ungetüm wie ein Sturmwind heran, und hopp - sprang es ihm auf den Rücken. Es meckerte und schnaufte, es stank wie ein Misthaufen und war entsetzlich schwer. Das arme Schuhmacherli musste diese Last im Sprunge durch den Wald chreetzen. Erst am Rande des Gehölzes fiel das Tier lautlos von seinen Schultern und verschwand.

G. K. 

 

2. Der Messerwetzer

Zwischen Alterswil und Obermonten liegt das Grossholz. Es ist wegen seines schönen Stationenweges bekannt. In früheren Zeiten soll es in diesem Walde, namentlich zur Nachtzeit nicht geheuer gewesen sein. Es ging dort ein sonderbarer Geist um.

Ein junger Mann aus Obermonten begab sich eines Tages nach Alterswil. Er liess sich dort von guten Freunden versäumen und trat erst in später Nachtstunde die Heimreise an. Sein Weg führte durch das Grossholz. Bald hörte er, wie jemand brummend und redend hinter ihm herging. Er spitzte die Ohren und lauschte, doch konnte er nicht verstehen, was der Unbekannte sagte, die Entfernung war zu gross. Aber der Hintermann kam beständig näher, und mit einem Male war seine Rede deutlich zu vernehmen.

„Wetz dis Mässer, - wetz dis Mässer“, so brummte er in einem fort. Dazu machte er ein Sibu-säbu-geräusch, als ob er wirklich ein Messer wetzen würde. Der scheint mir kein gemütlicher Weggefährte zu sein, dachte der Obermontener und verdoppelte seine Schritte, um aus dem Wald und der Nähe des Unheimlichen hinaus zu kommen. Doch plötzlich schrie der Fremde ganz dicht hinter ihm: „Wetz dis Mässer, - wetz dis Mässer!“

Der junge Mann war nicht chlüpflig. Er blieb stehen und schaute um sich. Doch konnte er nirgends ein menschliches Wesen entdecken. Drum rief er mit voller Stimme seine Antwort in den Wald hinaus: „Nit nötig - mis Mässer houtI“

Kaum hatte er die Worte gesprochen, so sprang ihm eine dunkle Gestalt auf den Rücken und trieb ihn zum Laufen an. Schneller, immer schneller musste er gehen. Das Ungetüm hetzte, jagte, drohte. So eilte er durch die Nacht, schwitzend und keuchend unter der schweren Last, bis er in Obermonten sein Heim erreichte. Dort stürzte er sich gegen die Haustüre, dass sie krachend aufsprang. Jetzt erst fiel das Gespenst von seinem Rücken. und verschwand.

Fiebernd legte sich der Mann nieder und musste lange Zeit das Bett hüten. Auch hatte der Schreck ihm die Sprache genommen. Erst nach und nach erlangte er sie wieder.

 

3. Und noch andere

Ein anderer Hockgeist ging im Chrüziholz bei Düdingen um. Als der Sigrist von St. Wolfgang einst in der Nacht durch diesen Wald ging, rief er im Übermute aus: „Wena da as Ungkür ischt, so soll es nume grad choe!“ Da sprang ihm augenblicklich eine schwarze Gestalt auf die Schulter. Sie blieb dort sitzen und trieb den armen Mann, - als wäre er ein Ross - zu raschem Laufe an. Vor der Haustüre erst sprang der unheimliche Reiter ab und verschwand.

P. N. Bongard

*

In Benewil hauste in einem alten Ofenhaus ein Ungeheuer. Einst ging ein verspäteter Kilter dort vorbei. Da sah er im Backofen ein helles Feuer brennen und aus dem Kamin stieg eine schwarze Rauchsäule. Den Kilter gelüstete es nach einem Abenteuer, und er rief: „Heeh! Ungkür, we du Chueche bachischt, so gimmer o as Stücki.“ Im selben Augenblick erlosch das Feuer im Backofen. Zum Fenster heraus sprang ein grosser, schwarzer Hund und setzte sich dem Burschen auf die Schultern. Der Junge floh entsetzt heimzu und versuchte im Gehen immer wieder die grausige Last abzuwerfen. Es gelang ihm nicht, der Hund hatte sich fest verkrallt. So musste er ihn weitertragen. Erst als sein Fuss die Hausschwelle berührte, fiel das Tier zur Erde und verschwand.

Der junge Mann legte sich erschöpft ins Bett. Er stand am Morgen nicht mehr auf. Ein heftiges Fieber schüttelte ihn. Am Abend war er eine Leiche.

P. N. Bongard

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

 

 

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