Es war am Tage der Alpfahrt. Auf dem Schwyberg verabschiedete sich ein Bauer aus dem Unterland von seinem Hirten und sprach dabei: „Hansjosi, ich gehe jetzt wieder ins Tal hinab und lasse dich den ganzen Sommer allein hier oben wirtschaften. Doch zuvor muss ich noch ein ernstes Wort mit dir reden. Du hast die üble Gewohnheit, jedesmal zu fluchen, wenn dir etwas gegen den Strich geht. Das Fluchen vertreibt den Segen Gottes. Wer aber hat diesen nötiger als der Hirt auf den Bergen? Ich bitte dich darum, tu’ es nicht mehr, und es wird dir gut ergehen.“ - Hansjosi versprach es und gab dem Meister die Hand darauf.
Der Alpensommer liess sich gut an. Das Wetter war schön und die Tiere gediehen prächtig. Der Hirt hatte bisher jede Versuchung zum Fluchen heldenhaft überwunden. Aber gegen die Mitte der Alpzeit trat plötzlich eine Änderung ein. Da tauchte eines Tages auf der Weide eine brandschwarze, fremde Kuh auf. Der Hirt fragte überall nach dem Eigentümer dieses Tieres, aber niemand wollte es beanspruchen. Man hatte überhaupt noch nie ein so gänzlich schwarzes Vieh gesehen. So blieb die Kuh denn bei der Herde. Anfänglich benahm sie sich anständig. Doch bald fing sie an, ihre Bosheit zu zeigen. Sie stach die andern Tiere mit den Hörnern und jagte sie auf der Weide umher. Bald rannten sie keuchend bergauf, dann mit erhobenen Schwänzen wieder bergab, die schwarze Kuh immer hinter ihnen her. Die Tiere konnten nicht mehr ruhig weiden, immer wurden sie gejagt und gehetzt, und wenn man sie endlich in den Stall liess, da waren sie tropfendnass von Hitze und Aufregung. Hansjosi kochte manchmal vor Wut und ein kräftiger Fluch hüpfte ihm auf die Zungenspitze, aber er schluckte ihn tapfer hinunter.
Während die Herde im Stall ruhte, strich die fremde Kuh gewöhnlich um den Stafel herum und mehr als einmal sprang sie auf das Schindeldach und kletterte hinauf bis auf den First. Wenn aber die Tiere hinausgelassen wurden, dann begann das Stechen und Hetzen und Jagen von neuem. Hansjosis Geduld war endlich erschöpft. Er schnitt aus einem Tannast einen knorrigen Stecken und jagte die schwarze Kuh Schritt für Schritt bergab. Immer wenn sie sich rückwärts kehren wollte, tätschte der schwere Stock auf ihren Rücken. Auf einmal fing sie an schneller und schneller zu laufen. Sie durchbrach einen Scheienzaun und verschwand im tiefergelegenen Wald. „Die wird nicht mehr komme“, lachte Hansjosi. Aber am nächsten Tage war das schwarze Luder wieder auf der Weide und tat noch unverschämter als zuvor. Der Hirt ergriff den Stock und wollte die Kuh abermals ins Tal hinab treiben. Doch als der erste Hieb auf ihren Rücken sauste, da senkte sie den Kopf, stellte die Hörner drohend nach vorne und stiess dampfenden Atem aus Maul und Nase. Sie drückte die Augen schaurig heraus, dass sie wie zwei grosse weisse Fäuste aus dem schwarzen Grind herausragten. Huuh! Das war ein schrecklicher Anblick. Jetzt wird sie sich auf den Hirten stürzen und wütend ihn zerstampfen. Doch dieser kommt ihr zuvor, macht einen
mächtigen Sprung zur Seite und flüchtet in die Hütte. Gerettet... und nicht geflucht.
Was nun machen? Wenn es gelänge, das schwarze Biest in den Stall zu treiben, dann könnte man es an eine Kette binden, und die andern Tiere hätten Ruhe. Hansjosi machte einen Fangzaun, aussen weit, gegen die Stalltüre sich verengend. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihm eines Tages, die Schwarze in den Stall zu treiben und die Türe zu schliessen. Sie liess sich sogar ohne ernsten Widerstand anketten und der Hirt glaubte, jetzt werde es Ruhe geben. Aber während er die Kühe molk, riss sich das Scheusal von der Kette los, schlüpfte den andern Kühen unter den Bäuchen durch, dass diese erschreckt an die Decke fuhren und wild brüllten. Sie warf den Hirt zu Boden, sie stürzte die volle Brente um, sie schleuderte das Milchkübli weit fort. Die Milch floss über das Läger und den Gang und füllte den Schorgraben. Die Schwarze sprang wild umher, an die Wände hinauf, den andern Tieren auf den Rücken. Es entstand ein Gebrüll, ein Tumult, ein wildes Durcheinander. Hansjosi erhob sich vom Boden. Eine unsinnige Wut packte ihn. Die gröbsten Flüche wollten ihm aus dem Munde spritzen. Doch er biss die Zähne aufeinander und schluckte ein paar Mal. Dann rief er mit Donnerstimme: „Du verdammtes Dreckvieh! Jetzt schlage ich dich kaput. Vater, Sohn und Heiliger Geist steht mir bei!“ Er ergriff die Mistgabel, um sie dem verrückten Tier in den Ranzen zu stossen. Da geschah etwas Sonderbares. Die schwarze Kuh sprang gegen die hintere Stalltüre, streckte den Kopf in den Schorgraben und schleuderte mit den Hinterbeinen einen Haufen Mist gegen den Hirten. Dann schrumpfte sie zusammen, ward kleiner und kleiner und schlüpfte zum Schorloch hinaus. Weg war sie. Der Hirt riss die Türe auf, sie war nicht draussen, war nicht in der Jauchegrube, war nicht auf der Weide, war nirgends mehr.
Hansjosi behauptete fest und sicher, die schwarze Kuh sei niemand anders als der leibhaftige Teufel gewesen, und dieser habe mit allen Mitteln ihn zum Fluchen reizen wollen.
Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch