In den Wäldern zwischen Giffers und Praroman hauste ein Bär. Der hatte in der Umgegend schon manches Schaf und manche Ziege zerrissen. Eines Tages veranstalteten die Bürger von Praroman eine Treibjagd, um das böse Vieh unschädlich zu machen. Ein Gifferser sammelte gerade in jenem Walde Harz. Da hörte er Hundegebell und Hörnerschall. Immer näher kam der Lärm. Plötzlich krachten hinter ihm die Zweige, und wie er sich umwandte, gewahrte er einen grossen, zottigen Bären, der brummend auf ihn loskam. Der Gifferser kletterte in der Todesangst schnell auf eine Tanne hinauf. Der Bär ging schnuppernd um den Baum herum und trottete dann weiter. Der Gifferser glaubte sich schon gerettet; da kam aber das Schlimmste erst noch. Die gehetzte Meute stürmte heran und machte plötzlich unter der Tanne Halt. Ein Dutzend blutgieriger Hunde bellten zum geängstigten Manne hinauf. Nun kamen die Jäger, sahen in den Asten droben ein Lebewesen und meinten nichts anderes, als das sei der Bär. „L’oà, l’oà, lè inque - lè inque!“ riefen sie freudig. Schon legte einer das Gewehr an die Wange und zielte. Da rief der Gifferser aus Leibeskräften: „Halt! Schiess nit. I bü nit der Bär; i bü nume an arma Harzer va Güfersch!“ Der Jäger, der zum Glück deutsch verstand, riss das Gewehr aus dem Anschlag und rief seinen Genossen zu:“Halt! Terridè-pâ. Lé on pouro pèzenê dè Tzevreillè!“ Wie auf Kommando senkten sich die Gewehre, und die Jäger brachen in ein schallendes Gelächter aus. Unterdessen war der Harzer vom Baum heruntergeklettert und stand nun wie ein ertappter Dieb schlotternd vor den Welschen.
Doch diese gaben ihm nur zu verstehen, er solle sich künftig sein Harz in den Wäldern von Giffers holen.
Die Geschichte wurde bald im ganzen Lande bekannt und man nannte von da an die Gifferser nur mehr die „Harzer“ und die Praromaner die „Bären“.
Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch