Eines Sommers ging die Schreckenskunde durch das Land, die Pest sei wieder im Anzug. In Genf und im Waadtland stürben die Menschen wie Fliegen dahin. Es war kein leeres Gerücht. Bald griff der schwarze Tod auch auf Freiburg über. In der Stadt starben täglich Dutzende von Menschen. Dann nahm das Schreckensgespenst seinen Weg in die Dörfer hinaus und forderte von Haus zu Haus seinen Tribut. Viele Leute verliessen fluchtartig ihre Behausungen und eilten mit wenigen Habseligkeiten auf die Berge, wo sie sicher zu sein glaubten. Da hörten sie fast täglich aus den Dörfern die Totenglocken in die Bergeinsamkeit heraufläuten. Ein banges Fragen ging alsdann von Mund zu Mund: „Wem mag das gelten einem teuren Angehörigen einem lieben Freund einem Nachbar?“ So tönten die Glocken Tag für Tag, wochen- und wochenlang und kündeten den Geflohenen, dass der schwarze Tod noch immer umgehe, stets neue Opfer heische. Banger Schrecken lähmte ihnen die Glieder. Wird die Würgerin auch auf die Berge steigen und die Flüchtlinge holen?
Im Schwand hielten sich in einer Berghütte eine Anzahl geflüchteter Menschen auf. Eines Morgens hörten diese in der Ferne eine Stimme rufen: „Chämet, loset! Chämet, loset!“
In ihrer Angst und Aufregung glaubten sie, man werde ihnen aus dem Tale herauf eine schlimme Botschaft bringen. Als sie vor die Türe traten, sahen sie am Rande des Burgerwaldes auf einem riesigen Steinblock ein Zwerglein stehen. Das rief ihnen zu:
„Esset doch Knoblauch und Bibernell,
Dann sterbet ihr nicht so schnell!“
Die Leute befolgten diesen Rat. Einer sagte ihn dem andern. So wanderte er weiter von Mund zu Mund, von Berg zu Tal, von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus. Das einfache Mittel schien Wunder zu wirken. Das Sterbegeläute verstummte. Nach und nach wagten die Flüchtlinge sich wieder in die Dörfer hinunter. Die Pest war erloschen.
Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch