Ritter Velga

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Hoch über der Saane, nahe der Stelle, wo heute der Weg nach St. Wolfgang von der Bernstrasse abzweigt, stand ehemals die feste Burg Kastels. Sie gehörte dem Ritter Velga. Er soll ein habgieriger Mensch gewesen sein. Die Bauern der Umgebung, die ihm zinspflichtig waren, klagten laut über seine Härte. Immer höheren Zins forderte er von ihnen und immer grössere Abgaben. Wer nicht bezahlen konnte, wurde unbarmherzig von Haus und Hof vertrieben und ins Elend gejagt. Auf diese Weise soll sich der Burgherr innert weniger Jahrzehnte ein ungeheures Vermögen zusammengescharrt haben.

Da brach zwischen den Städten Freiburg und Bern ein Krieg aus. Die Berner zerstörten fast alle Burgen in der Umgebung Freiburgs. Eines Tages erschienen sie auch vor Kastels. Sie erstürmten das Schloss und plünderten es aus. Vom Keller bis zum Estrich wurden alle Kisten und Kasten geleert und die ungeheuren Reichtümer weggeschafft. Dem sagten die Berner „Sackmann machen“.Schliesslich wurde die stolze Feste verbrannt und gänzlich zerstört. So kam der Ritter Velga um alle die Schätze, die er sich erwuchert und ergeizt hatte. Darüber verlor er völlig seinen Verstand und fiel in Irrsinn. Neben dem zerstörten Schlosse baute er sich eine elende Bretterhütte und lebte darin noch mehrere Jahre. Jeden Tag sah man ihn auf dem verödeten Burghofe kleine Kieselsteine auf lesen, die er in eine Wanne legte und oft stundenlang herumschüttelte, als ob es Goldstücke wären, die er vom Staube reinigen wollte. Später wühlte er sogar den Boden auf, um immer neue Kiesel zu finden. Endlich erlöste ihn der Tod von diesem traurigen Dasein. Aber weil sein Herz zeitlebens nur an den Gütern dieser Welt gehangen und für die Nöte der Mitmenschen nur Härte gekannt hatte, konnte er nicht selig werden.

Ein Geist musste auf die Erde zurückkehren, in den Ruinen von Kästels umgehen und sühnen.

In mondhellen Nächten sah man noch in späten Jahrhunderten den Geist des Ritters im Burghofe herumirren, Kiesel auflesen und in der Wanne schütteln. Wenn aber von den Türmen der Stadt die Mitternachtstunde schlug, dann verschwand er mit seinem Schatz im alten Gemäuer, laut jammernd und wehklagend, dass sich darob ein Stein hätte erbarmen mögen.

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

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