Die Schwanenjungfrau

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal vor vielen, vielen Jahren ein Kaufmann, der hatte einen einzigen Sohn. Als der erwachsen war, gab der Vater ihm ein Schiff, ein grosses und schönes um mit fremden Völkern Handel zu treiben und Waren heimzubringen. Zuversichtlich fuhr der Bursche aufs Meer hinaus, und weit draussen, wo er nichts als Himmel und Wasser sehen konnte, entdeckte er auf einmal ein schwarzes Schiff mit einer roten Fahne. Dieses wurde nur von einem einzigen grossen und grauen Mann gesteuert. Bald einmal kam der Fremde aufs Schiff des jungen Kaufmanns und fing an, mit ihm Tarock zu spielen. Der Kaufmann verspielte das Schiff mitsamt der Ware und am Schluss sein eigenes Leben. Dennoch liess der fremde Schiffer ihn mit dem Schiff und der Ware heimkehren. Bevor der Fremde wegging, hatte der Bursche ihm aber schwören müssen, in einem Jahr an dem und dem Tag nach Amerika zu kommen. Der Bursche schwor dies mit zitternder Stimme und fuhr nach Hause.

Dort wurde er von Tag zu Tag trauriger und verlor seine schöne Gesichtsfarbe. Der Vater merkte das, und er konnte aus dem Burschen herauskriegen, weshalb er so traurig war. Als der Vater von dem Schwur erfuhr, schickte er seinen unglücklichen Sohn in den Wald zu einem Einsiedler, ihn um Rat zu fragen.

Dieser Einsiedler war ein sehr weiser und gelehrter Mann, und er wusste sogleich einen Rat. Der Bursche solle auf eine Insel mitten im Meer gehen, dort seien drei Schwäne. Die würden sich beim Baden in wunderschöne Mädchen verwandeln; wenn sie ihr Schwanenkleid auszögen, so solle er schauen, eines von diesen Kleidern zu bekommen. Der Bursche befolgte den Rat des guten Einsiedlers, er führ zur Insel und versteckte sich in einem Busch. Bald darauf kamen die drei Schwäne, sie warfen ihr Federkleid ab und wurden drei liebliche Mädchen. Dann nahmen sie ein Bad im Meer. Schnell sprang der Bursche hinter dem Gebüsch hervor und nahm eines dieser Federkleider, das war so fein wie Spinnwebe. Darauf kam die jüngste und schönste Schwanenjungfrau aus dem Wasser und fragte ihn, was er wolle. «Deine Hilfe und Treue für immer!» Dies versprach das Mädchen dann auch, und die beiden küssten sich. Als das Mädchen erfuhr, wohin ihr Bräutigam gehen musste, gab sie ihm eine Rute und sagte, er solle damit das Meer berühren. Da wich das Wasser zurück, und er konnte mit trockenen Füssen bis nach Amerika gehen.

Dort wartete schon der schwarze Mann auf ihn, und der führte den Burschen in ein Schloss. Im Gang standen fünfzehn goldene Käfige, in jedem war ein Totenkopf. «Der sechzehnte leere ist für dich bestimmt», sagte Mann, «wenn du die Arbeiten, die ich verlange, nicht machen kannst!» Dann gab er ihm eine gläserne Axt und befahl, einen Wald abzuholzen.

Beim ersten Schlag, den der Bursche gab, zerbrach die Axt, und der Ärmste war am Verzweifeln. Da kam die Schwanenjungfrau und sagte, er hätte an sie und ihre versprochene Hilfe denken sollen. «Schlaf du nur», befahl sie, «das Holz schlage ich!» Der Bursche schlief, und als das Schwanenmädchen ihn weckte, war der ganze Wald gefällt. Damit war der dunkle Mann zufrieden, und er gab ihm die zweite Arbeit auf: einen Berg abzutragen und dort Reben zu pflanzen. Diesmal vergass der Bursche seine hilfreiche Braut nicht, er rief sie zu Hilfe, und der Berg war bald weg und der Weinberg drauf gepflanzt.

Die letzte und schwerste Aufgabe war den Goldring zu suchen, den der schwarze Mann auf einem Papierschifflein ins Meer geworfen hatte. Traurig und verzweifelt stand der Bursche am Ufer; da kam die Schwanenjungfrau. «Hau mir den Kopf ab, damit er ins Meer rollt!», befahl die Jungfrau. «O nein! Das darf ich nicht!», antwortete der Bursche und weigerte sich, dies zu machen.

Auf ihr Drängen versetzte er der Schwanenjungfrau dann doch mit seinem Schwert einen Hieb, so dass der Kopf ins Meer rollte. Da erschienen drei Tropfen Blut auf der Oberfläche des Meeres und mit ihnen der Ring. Bald einmal kam auch die Schwanenjungfrau aus dem Meer, schöner und jünger als je zuvor.

Arm in Arm gingen die beiden zum einsamen Schiffer, doch dieser lächelte, als er die Jungfrau sah, sie war seine Tochter. Er schenkte dem jungen Kaufmann Säcke voll Gold zur Hochzeit. Und die beiden gingen nach Hause zum Vater des Bräutigams, wo sie fröhlich Hochzeit machten. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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