Ein armes Mädchen musste täglich spinnen bis zum Geht-nicht-mehr, sonst kriegte sie am Abend von ihrer Stiefmutter mehr Schläge als Brot.
Eines Tages, als das Mädchen von der Stiefmutter nichts als Drohungen zu hören bekam, ging sie in den Wald, um noch mehr spinnen zu können. Dort spann sie, bis sie den Faden kaum mehr halten konnte. Jetzt begann das Mädchen vor Schmerz heftig zu weinen und zu klagen. Da kam ein schäbiges altes Männlein daher und fragte, was ihr fehle. Das Mädchen sagte ihm, wie es war. Der Alte tröstete die Spinnerin und sagte, sie müsse ihm nur eine Weile die Läuse ablesen, dann wolle er schon dafür sorgen, dass ihr Garn gesponnen sei. Er befahl ihr, die Läuse, die sie finde, in eine Dose zu legen und sie erst zu Hause zu töten. Das Mädchen suchte den Alten nach Läusen ab, und als sie viele gefunden hatte, pfiff der Alte durch die Finger. In dem Augenblick waren eine Menge Leute mit ihren Spinnrädern da und spannen für das Mädchen. Ganz getröstet nahm sie das Garn, denn so viel und so schön hatte sie noch an keinem einzigen Tag spinnen können, und sie ging nach Hause.
Als sie der Stiefmutter das Garn zeigte, war es Gold. In der Kammer oben wollte das Mädchen die Läuse töten, aber die hatten sich in kostbare Edelsteine verwandelt. Und das Mädchen war von nun an reich genug.
Thompson Motiv D 2183 (Magisches Spinnen)
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch