Die drei goldenen Schlüssel

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Drei arme Brüder gingen in die Welt hinaus, um zu verdienen. Vor den Toren der Stadt trennten sie sich. Der Älteste gelangte in ein Gebirge. Dort hatte eine Fee ein schönes Marmorschloss auf einem Felsen. Diese Fee, eine gütige Frau, nahm ihn in ihren Dienst, und er hatte es gut und bekam, was er wollte.

Nach einem Jahr sagte die Fee, sie müsse verreisen und gebe ihm die goldenen Schlüssel zu drei Zimmern. «Öffne nur die Zimmer auf der rechten und linken Seite, doch das in der Mitte, wo sich die ganze Pracht der Welt befindet, darfst du nicht öffnen, wenn dir dein Leben lieb ist!», sagte sie noch zuletzt, und dann verschwand sie. Verdutzt stand der Bursche da. Er dachte lang darüber nach, was die Fee gesagt hatte, und dann öffnete er langsam die rechte Türe. War das ein Glanz, alles war aus Gold oder Silber! Später ging er ins Zimmer auf der linken Seite, dort gab es nur Smaragde und Rubine. Lange stand er vor der Türe in der Mitte, bald wollte er öffnen, bald der Fee gehorchen. Während er hin und her schwankte, packte ihn plötzlich die Gier, und er hatte die Frechheit, die Tür zu öffnen. Auf einmal sah er alles, was schön ist, aber in dem Augenblick wurde er in einen Marmorblock verwandelt.

Nach vielen Tagen und Jahren kam der andere Bruder zur Fee und trat in ihren Dienst. Auch ihm gab sie die drei Schlüssel und sagte das gleiche wie seinem älteren Bruder. Aber auch er wurde wegen seiner Neugier in einen Marmorblock verwandelt.

Zuletzt kam der Jüngste zum Schloss der Fee, und sie stellte ihn ein. Dieser Bursche aber wusste, was sich gehört, und er gehorchte der Fee, nachdem er die Schlüssel erhalten hatte.

Als die Fee erschien, öffnete sie selber das Zimmer in der Mitte. Mit einer Rute schlug sie auf die Marmorblöcke, und in dem Augenblick wurden die Brüder wieder lebendig. Die Fee gab allen dreien als Lohn so viele Kostbarkeiten mit, wie sie tragen konnten. Die drei Glücklichen segneten die Fee und verliessen dankbar das Schloss. Aber als sie zurückschauten, da sahen sie nur einen grossen wüsten Felsen. Das Schloss samt den riesigen Reichtümern war verschwunden.

 

Thompson Motiv C 611 (Das verbotene Zimmer)

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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