Die beiden Freunde

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein König, der hatte zwei schöne und feine Töchter. Er wollte, dass sie Jungfrauen blieben. Deshalb liess er ein schreckliches Schloss bauen, mitten in einem dunklen See. Dann liess er den See mit sehr hohen Mauern umgeben, damit niemand zu seinen Töchtern könne.

Aber einmal kam im Dunkeln ein ganz schöner Mann aus dem See und blieb über Nacht im Schloss. Nach neun Monaten bekamen beide Prinzessinnen ein Kind. Die beiden Kinder aber glichen sich so, dass niemand sie auseinanderhalten konnte. Ihre Mütter baten die Frau, die sie mit Essen versah, mehr zu bringen, denn sie hatten grossen Hunger.

Als die Buben acht Jahre alt waren, liessen die Prinzessinnen ihren Vater um grünes Tuch und um zwei Bogen mit goldenen Pfeilen bitten. Sie wollten auf die Jagd gehen und kleine Vögel schiessen. Der Vater schickte dann wunderschönen grünen Stoff und einen Bogen für die Vogeljagd. Bei Mondschein lehrten die Mütter ihre Buben, die Vögel, die so schön singen, zu schiessen und über den See zu schwimmen. Auch machten sie jedem aus dem grünen Stoff ein Kleid.

Als sie schwimmen gelernt hatten, sagten die Mütter ihren Söhnen, nun müssten sie in die Welt hinaus, aber den Namen ihrer Mütter dürften sie niemandem verraten. Und zum Andenken gaben sie jedem ein goldenes Schwert. 

In einer schönen Sommernacht nahmen die Burschen Abschied vom Schloss, sie schwammen über den See und kletterten über die Mauer. Arm in Arm gingen sie durch die kurze Nacht, bis sie in einen dunklen Wald kamen, wo der Weg sich verzweigte. Neben einer alten Eiche stiessen sie, bevor sie auseinander gingen, ein goldenes Schwert in den Boden und versprachen einander, in einem Jahr wieder hierher zu kommen. Und wenn das Schwert auf der einen Seite rostig sei, so sei dem, welcher nach dieser Seite gegangen sei, etwas zugestossen, und der andere müsse ihm zu Hilfe eilen. Dann nahmen sie mit Tränen in den Augen voneinander Abschied, und der eine bog nach rechts, der andere nach links ab.

Der, welcher nach rechts ging, kam bald in eine wunderschöne Stadt, wo die Leute in Trauer waren und weinten. Er fragte, was denn los sei, dass alle so fest weinten. Der Drache habe die Königstochter genommen, antwortete man ihm, und niemand wage es, ihn zu töten, obwohl der König die Tochter und die Krone dem versprochen habe, welcher den Drachen töte. Das konnte der junge Ritter nicht verstehen, und ohne Furcht nahm er sein Schwert, setzte sich aufs Pferd und liess sich die Höhle des Drachen zeigen.

Als er auf die Höhle zukommt, fliegt der Drache heraus und will sich auf ihn stürzen, aber mit seinem goldenen Schwert trifft er das Ungeheuer mitten ins Herz. Ausser sich vor Freude umarmt die Prinzessin ihren Befreier, und die beiden ziehen mit grossem Geleit in die Stadt, wo er bald König wird.

Eines schönen Tages ging der König trotz des Jammerns und Klagens seiner Frau mit seinem goldenen Bogen in den verwunschenen Wald, um die Vögel, die so schön singen, zu schiessen. Im Dickicht sah er plötzlich ein Weiblein, die tat so, als suche sie etwas. Als er die Alte fragte, was sie verloren habe, sagte sie: «Meinen Goldring!» Dienstfertig wie der König war, wollte er ihr beim Suchen helfen. Als er sich aber hinunterbeugte, um den Ring zu suchen, strich die alte Hexe mit einer Rute über sein goldenes Haar und verzauberte ihn in einen Marmorstein.

Nach einem Jahr ging der, welcher nach links abgebogen war, zur Eiche zurück, und da sah er, dass das Schwert auf der rechten Seite ganz rostig war. «Meinem Bruder ist etwas zugestossen», sagte er und machte sich darauf auf die Suche. Als er in der Stadt war, wo sein Bruder regierte, kamen ihm alle entgegen. Die Königin umarmte ihn, und in der Meinung, er sei ihr Mann, führte sie ihn ins Schloss. Aber in der Nacht legte der Ritter sein goldenes Schwert zwischen sich und die Königin. Doch die Königin weinte und klagte umsonst. Am andern Morgen ging er in den Wald hinaus. Da wollte die alte Hexe auch ihn verzaubern, aber der Ritter merkte gleich, was es geschlagen hatte. «Sag, wie ich meinen Freund erlösen kann», sagte er zur Hexe, «oder ich hau dir den Kopf ab!»

Die Alte gab ihm zitternd eine Rute und sagte, er müsse damit nur auf die Marmorsteine schlagen, und machte er. Alle Steine verwandelten sich wieder in Ritter und Edelfräulein. Auch sein Freund kam aus einem Stein heraus und sie umarmten sich voller Freude. Am Abend zogen sie jubelnd in die Stadt, und der mutige Gefährte wurde General des königlichen Heeres.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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