Der Drachentöter

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Drei Jünglinge ritten einmal über eine Ebene, um die Tochter eines Königs zu suchen. Die wurde von drei schrecklichen Drachen in einer dunklen Höhle bewacht. Nach langem Suchen, da und dort, gelangten die drei Ritter in den schwarzen Wald; mittendrin fanden sie bald einmal die dunkle Höhle. Die führte aber derart tief in die Erde und war oben so schmal, dass nur einer auf einmal hinunter konnte. Der Jüngste, welcher der Mutigste war, sagte den andern, sie sollten ihm ein Seil umbinden, er wolle allein hinunter. Das machten die beiden andern, die sich sehr fürchteten, gern. Und sie versprachen ihm, vor der Höhle zu warten und ihn heraufzuziehen, sobald er ihnen ein Zeichen gebe. Unser Ritter liess sich mutig anseilen und stieg in die Tiefe.

Zuunterst in der Höhle fand der junge Mann eine wunderschöne Jungfrau, die bitterlich weinte. Als sie ihn sah, war sie sehr überrascht und sagte: «Flieh, guter Ritter, bevor die drei Drachen, die mich bewachen, kommen! Wenn sie dich erwischen, dann bist du erledigt.» Trotzdem zückte der Ritter sein Schwert aus feinem Stahl und sagte: «Ich will Euch befreien, edle Jungfrau, vor Drachen fürchte ich mich überhaupt nicht.» Kaum hatte er das gesagt, da kam ein Drache schwarz wie die Nacht herbeigekrochen. Niemand hätte es gewagt, sich diesem Drachen entgegenzustellen. Aber dieser junge Ritter zitterte nicht vor ihm, sondern spaltete dem Biest mit einem Streich den Schädel.

Die Jungfrau freute sich sehr darüber. Doch kaum hatte sie den Ritter warnen können, da zwängte sich schon ein scheckiger Drache mit zwei Köpfen aus dem Felsen hervor, und mit dem hatte der Ritter viel mehr Mühe. Aber schliesslich musste auch dieser Drache aufgeben, und der Ritter zerschlug ihm seine beiden Köpfe. «Erst dann kommt der harte Brocken», sagte die Jungfrau, «wenn der siebenköpfige Drache erscheint.» Und in dem Augenblick krachte es, wie wenn der Blitz eingeschlagen hätte, und ein schrecklicher Drache mit sieben feuerspeienden Köpfen kam aus der Höhle geflogen. Mit aller Kraft führte der Ritter sein Schwert, und mit einem Streich schlug er alle sieben Köpfe ab, so dass das Blut wie ein Bach aus der Höhle floss. Mit Tränen auf den Backen umarmte die Königstochter den Ritter und sagte, sie schenke ihm ihr Herz. Zur Erinnerung an dieses Versprechen gab sie ihm einen schönen goldenen Ring.

Schliesslich band der junge Ritter der Prinzessin das Seil um und gab das Zeichen zum Hinaufziehen. Das war bald geschehen. Aber als die beiden Gefährten die schöne Jungfrau sahen, überlegten sie sich, wie sie ihren Gefährten aus dem Weg räumen könnten. Rasch dachten sie sich eine Gemeinheit aus. Sie beschlossen, ihn nur ein Stück weit heraufzuziehen und ihn dann in die Tiefe stürzen zu lassen, damit er auf den Steinen zerschmettere. Der junge Ritter jedoch schöpfte Verdacht, weil sie ihn so lange hatten warten lassen. Da hängte er einen Holzklotz an das Seil. Die falschen Freunde zogen den Klotz ein gutes Stück hoch, und dann liessen sie das Seil los, so dass der Block auf den Felsen fiel und in tausend Stücke zersprang.

Ganz traurig steht der Ritter in der dunklen Höhle herum und macht sich allerlei Gedanken. Aber bald kommt ein alter, ganz grauer Fuchs zu ihm und sagt: Halte dich an meinem Schwanz fest, und ich will schauen dass du irgendwie hochkommst!» 

Das hat der junge Mann so gemacht, und der Fuchs kriecht mit ihm die steilen Wände hinauf ans Licht. Und als sie oben sind, verschwindet der Fuchs.

Zuversichtlich ging der junge Mann weiter und gelangte bald in die Stadt des Königs. Hier waren alle in Seide und roten Samt gekleidet, und man feierte ein grosses Fest. Der junge Mann fragte in einer Wirtschaft, was dies zu bedeuten habe und weshalb sich alle so fein herausgeputzt hätten. «Die Königstochter hat heute Hochzeit mit ihrem Befreier», antwortete der Wirt. Unser Ritter liess sich das Königsschloss zeigen und ging sofort in die Küche, um zu fragen, ob sie nicht einen Holzträger brauchen könnten. Nach langem Sträuben erlaubte der Koch dem Ritter schliesslich, in der Küche zu bleiben und anzufeuern.

In der Zwischenzeit hat man den Koch in die Stube gerufen, und der Jüngling nutzt die Gelegenheit, um den Ring, den die Königstochter ihm geschenkt hat, in den Küchleinteig, den der Koch auf dem Tisch liegen hat, zu werfen. Als der Koch später die Küchlein gemacht hat, gelangt der Ring in das schönste und grösste Küchlein, und dieses bekommt die Königstochter.

Als sie den Ring fand, war sie vor Freude ganz ausser sich: «Wen habt ihr in der Küche?» fragte sie. «Einen armen Burschen, der das Holz holt», antwortete der Koch. «Lasst ihn herein!» befahl die Prinzessin, und in wenigen Augenblicken war der Ritter im Saal. Die beiden falschen Freunde fingen an zu zittern wie Espenlaub. Vor allen Leuten umarmte die Prinzessin den Ritter, nannte ihn ihren wahren Retter und Bräutigam, und am gleichen Tag feierten sie Hochzeit. Acht Pferde, je vier, rissen die beiden falschen Freunde in Stücke.

 

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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