Die Geschichte vom Herrgott

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein armer Mann, der sass an einem Sonntag in der Kirche. Der Pfarrer predigte über das Almosen und sagte unter anderem, wenn man Almosen gebe, so zahle der Herrgott einem das Hundertfache zurück. Ganz aufgeregt ging der arme Mann nach Hause und erzählte seiner Frau von der Predigt. Dann berieten sie zusammen, was sie als Almosen verschenken könnten, um auch das Hundertfache zurückzubekommen. Der Frau fiel dann ein Stück Tuch ein, welches sie gewebt hatte. Sie verteilten es an die Armen und glaubten, dafür hundert Tücher zu erhalten. Jeden Tag warteten sie auf die Tücher, aber vergebens.

Da ging der Mann selber zum Pfarrer und sagte ihm, er habe Lügen erzählt, sonst müssten die Tücher jetzt gekommen sein. Der Pfarrer tröstete den armen Mann und versicherte ihm, das Hundertfache komme bestimmt, er wisse nur nicht gerade wann.

Damit war der Mann nicht zufrieden, und er brach auf, um zu einem Wegkreuz zu gehen. Er wollte den Herrgott selber fragen, wie es mit dem Hundertfachen seines Stoffes stehe. Unterwegs kam er am Haus eines Herrn vorbei. Der ging gerade spazieren und fragte den Mann, wohin er gehe. «Ich werde mit dem Herrgott reden», sagte er. Da beauftragte der Herr ihn, den Herrgott zu fragen, weshalb seine Obstbäume keine Früchte mehr wie früher trügen. Das wolle er schon machen, gab er zur Antwort und ging weiter.

Als er an einem Haus vorbei wollte, kam eine Frau weinend heraus. Die fragte den Mann, wohin er gehe, und er antwortete: «Zum Herrgott.» Da bat die Frau den Mann, doch den Herrgott zu fragen, weshalb er ihr die einzige Tochter weggenommen habe. Er sagte, das wolle er schon machen und ging weiter, an einem Kloster vorbei. An einem offenen Fenster sass der Abt, um frische Luft zu schöpfen, und auch der fragte den Mann, wohin er gehe. «Mit dem Herrgott reden», antwortete er. «Dann», sagte der Abt «frage ihn, weshalb in meinem Kloster so ein Unfrieden herrscht.» «Das will ich schon machen», versprach der Mann.

Als er das Kreuz erreichte, verbeugte er sich tief, nahm die Mütze ab und sagte zum Herrgott: «Guten Tag! Guten Tag!» Doch der Herrgott antwortete nicht. Jetzt schrie der Mann wütend: «Guten Tag!» und fügte hinzu: «Du, stell dich bloss nicht taub!» Als der Herrgott diesen grossen Glauben sah, da fragte er ihn schliesslich, was er wolle. Der Mann antwortete: «Das Hundertfache für meinen Stoff!» Der Herrgott meinte: «Wenn es nur das ist, so gehe du ruhig nach Hause! Dann wirst du alles bekommen.» Jetzt sagte der Mann, er müsse ihn noch fragen, weshalb die Bäume jenes Herrn keine Früchte trügen. Der Herrgott antwortete: «Geh und sage dem Herrn, dass er seinen bösen Hund wegtun müsse, der lasse keine armen Leute zum Betteln ans Haus heran, dann werde es schon besser!» «Behüt dich Gott!», sagte jetzt der Mann und drehte sich um. Doch jetzt kam ihm die Frau in den Sinn, er ging schnell wieder zum Herrgott zurück und erzählte, was die Frau ihm aufgetragen hatte. Der Herrgott antwortete: «Geh und sage, dass ich die Tochter genommen habe, solange sie noch mein war!» «Behüt dich Gott!», sagte jetzt der Mann und wollte gehen. Doch jetzt fiel ihm der Abt ein, und er sagte zum Herrgott, der Abt lasse fragen, weshalb seine Mönche zerstritten seien. Der Herrgott antwortete: «Geh und sage dem Abt, er solle den und den Mönch aus dem Kloster jagen, der sei ein Hexenmeister, dann werde es schon besser!»

Der Mann ging zum Kloster und sagte dies dem Abt, und der gab ihm einen Beutel voll Geld. Ganz vergnügt, weil das Hundertfache langsam kam, ging er zur Frau und richtete seine Nachricht aus. Auch die Frau gab ihm ein Geschenk. Als er beim Herrn war, machte der ihm ein noch grösseres Geschenk als die ersten beiden, so dass der Mann das Hundertfache für den Stoff zusammenkriegte, bevor er nach Hause kam. 

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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