Die beiden Brüder

Land: Schweiz
Kategorie: Schwank

Es waren einmal zwei Brüder, die bebauten zusammen im Sommer ihr Land. Als es Zeit zum Alpabzug war, wollten sie ihr Vieh teilen. Auf einem Maiensäss hatten sie einen neuen und einen alten Stall. Jetzt wurden sie sich einig, dass der ältere Bruder die Kühe bekomme, welche am Abend neben dem alten Stall ständen, und die neben dem neuen würden dem jüngeren gehören. Dies wollte der ältere Bruder so, denn er glaubte, die acht Kühe seien mehr den alten Stall gewohnt als den neuen und gingen darum sicher zum alten.

Am Abend auf dem Maiensäss stand nur die älteste und hässlichste Kuh neben dem alten Stall. Die anderen sieben warteten neben dem neuen, so dass der ältere Bruder nur eine Kuh hatte und der jüngere sieben. So wie die Teilung des Viehs ausgefallen war, musste das Futter für den Winter aufgeteilt werden. Der ältere Bruder meinte, es lohne sich nicht, während des ganzen Winters nur eine Kuh zu füttern, es sei besser, sie zu schlachten. Seiner Frau war dies recht.

Jetzt ging er auf den nächsten Markt und bot die Kuhhaut zum Verkauf an. Aber niemand kaufte sie. Am Abend ging er durch einen etwas dunklen Wald zurück und verirrte sich. Dann stieg er auf eine Tanne, um nach einem Licht Ausschau zu halten. Da kam eine Zigeunerbande unter diese Tanne, machte ein Feuer, setzte den Kessel auf und kochte Fleisch. Dann musste er auf der Tanne oben Wasser lassen, und dieses traf genau in den Kessel. Voll Freude riefen die Zigeuner: «Ach, wie Gott unsere Butter vermehrt!» Jetzt breitete er seine Haut mit den riesigen Hörnern dran aus und liess sie von der Tanne herunterbaumeln. Als die Zigeuner das sahen, glaubten sie, es sei der Teufel und flohen. Jetzt stieg er herunter, nahm unter den Wurzeln der Tanne einen zünftigen Haufen Geld hervor, den die Zigeuner zurückgelassen hatten, liess die Haut dort liegen und ging nach Hause. 

Eines Tages kam dann sein Bruder zu ihm, sah den Geldhaufen und fragte ihn, woher er den habe. Er antwortete, er habe die Haut seiner alten Kuh für einen Rappen pro Haar verkauft, deshalb habe er so viel Geld. Dann ging der Bruder zu seiner Frau und wurde mit ihr einig, die sieben Kühe zu schlachten und ihre Häute zu verkaufen. Wenn sein Bruder nur aus einer Haut einen solchen Haufen Geld gezogen habe, was für einen erst müsste er für die Häute von sieben Kühen bekommen! Gut, sie schlachten ihre sieben Kühe, dann geht er mit den sieben Häuten auf den Markt und bietet sie zum Verkauf an. Aber es geht ihm wie seinem Bruder, er kann sie nicht verkaufen. Am Abend, ziemlich spät, macht er sich auf den Weg nach Hause und kommt in den gleichen Wald wie sein Bruder. Zu seinem Pech steigt er auf die gleiche Tanne, um ein Licht zu suchen. Da kommen die Zigeuner wieder mit ihrem Kessel unter die Tanne und kochen Fleisch. Auch er lässt sein Wasser in den Kessel hinunter. Doch diesmal sind die Zigeuner nicht so dumm, und statt zu sagen: «Ah, wie Gott unsere Butter vermehrt!» schreien sie: «Aha! bist du wieder hier oben, du Gauner? Aus dir wollen wir diesmal Hackfleisch machen!» Er musste herunterkommen, und die Zigeuner zeigten es ihm; sie richteten ihn mies zu. Endlich kam er spät nach Hause und platzte schier vor Wut, dass sein Bruder ihn so verarscht hatte.

Eines Tages ist er also zu ihm hinunter, um ihn zu töten. Da hat dieser mitten in der Stube einen Kessel stehen mit siedend heissem Wasser drin, welches er heimlich aus der Küche geholt hat, und schlägt mit einer Rute unter dem Kessel hin und her. «Was machst du denn hier, du Trottel?» sagt der Bruder zum andern. «Ja, ich bringe dieses Wasser zum Sieden. Jetzt braucht meine Frau nicht mehr in der Küche anzufeuern; mit dieser Rute hier kann man in der Stube kochen, was man will. Schau nur, wie das Wasser siedet!» «Eine von diesen Ruten möchte ich auch für meine Frau!» sagt der andere. Kurz und gut, er kauft die Rute für teures Geld ab, geht zu seiner Frau und lässt einen Kessel mit kaltem Wasser in die Stube bringen. Er erklärt dann des langen und breiten, welche Kraft diese Rute habe. Dann fängt er an, damit unter dem Kessel hin und her zu hantieren, so fest und so lang, bis die Rute futsch ist. Aber das Wasser wird deswegen nicht heisser. Jetzt merkt er, dass er von seinem Bruder wiederum hinters Licht geführt worden ist, und er nimmt sich endgültig vor, ihn zu erledigen.

Er ging also zu ihm hinunter. Der Bruder hatte gerade mit seiner Frau einen heftigen Streit. Er schaute ein wenig zu, wie sie stritten und sagte nichts. Die Frau stand dem Mann in nichts nach; dieser drohte, sie zu töten, wenn sie nicht schweige. Aber sie gab nicht nach. Jetzt nahm der Mann sein Messer und stiess es in die Brust seiner Frau, so dass das Blut geradeaus spritzte und die Frau tot zu Boden fiel. Da sagte der Bruder zum Mörder, dies sei etwas Furchtbares, er werde ins Gefängnis kommen, weil er seine Frau ermordet habe. Doch der andere lachte und sagte: «Oh, ich habe keine Angst; wenn es Zeit ist, das Essen zu kochen, so will ich sie schon wach kriegen!» und er liess sie ein wenig so liegen, einer Weile nahm er eine Pfeife aus dem Sack und «Fi! Fi! Fi!» und beim dritten Mal stand die Frau auf. Das war nämlich alles so zwischen den beiden abgemacht. Sie hatten am gleichen Tag das Schwein geschlachtet und das Blut in die Blase getan, unter die Jacke der Frau. Dann stiess der Mann das Messer in die Blase, und die Frau gab vor, tot zu sein, und auf den dritten Pfiff hin wachte sie wieder auf. Diese Pfeife stach dem Bruder ins Auge. Er hatte auch manchmal Streit mit seiner Alten, und die kuschte auch nicht gern.

Gut, er kaufte ihm die Pfeife für teures Geld ab und ging zu seiner Frau, sagte ihr aber gar nichts davon. Es ging dann auch nicht lange, dass sie miteinander stritten. Da stiess der Mann das Messer in die Brust seiner Frau, so dass das Blut geradeaus spritzte und die Frau zu Boden fiel. Jetzt dachte er, sie ein wenig so liegen zu lassen und sie dann zur Essenszeit mit der Pfeife aufzuwecken. Er beginnt auf Teufel komm raus zu pfeifen, aber seine Frau gibt keinen Ton mehr von sich. Endlich merkt er, dass sein Bruder ihn wieder angeschmiert hat.

Jetzt schwört er, seinen Bruder um die Ecke zu bringen und geht schnell zu ihm ins Haus. Dieser hat sich tot gestellt, er liegt stocksteif auf der Bank, und seine Frau hat ihn mit einem Leintuch zudecken müssen. «Wo hast du deinen Mann?», schreit er, als er zur Tür hereinkommt. «Oh, der ist tot, schau dort auf der Bank unters Tuch!» «Ah, dem muss ich noch nach dem Tod ins Maul scheissen!», erwidert der Bruder, hockt sich auf ihn, um sein Geschäft zu machen, aber in dem Augenblick verpasst ihm der Tote einen derartigen Biss, dass der andere aufschreit und brüllt, mit Toten wolle er nichts zu tun haben; und er rannte in sein Haus hinauf. Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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