Es war einmal ein König, der hatte nur eine Tochter. Er liess ausschreiben, wer die drei Dinge, die er verlange, tun könne, werde seine Tochter zur Frau bekommen. Dies vernahm auch ein armer Bursche. Er fasste Mut und dachte, er wolle zum König und es versuchen.
Er nahm also seine Tasche mit Essen, machte sich auf den Weg und geriet in einen grossen Wald. Da hörte er ein furchtbares Geschrei und Geheul. Er bekam Angst, und plötzlich sah er rundherum lauter wilde Tiere. Erschrocken warf er ihnen das Essen aus seiner Tasche zu, die Tiere frassen es, aber nachher kehrte alles wieder in die Tasche zurück. Jetzt kam ein Löwe zu ihm her und sagte ganz sanft: «Reiss mir drei Haare aus, nimm sie und bewahre sie auf; wenn du in Not bist, dann reibe sie in der Hand, und dir wird geholfen!» Ohne Angst zieht der Bursche ihm drei Haare aus, steckt sie in den Sack und geht weiter.
Bald darauf kommt er in einen andern Wald. Da hört er rundherum singen und pfeifen, und ganz plötzlich ist er von lauter Vögeln umgeben. Er wirft diesen wieder sein Essen zu, und sie fressen tüchtig. Nachher ist das Essen wieder in seine Tasche zurück wie das erste Mal. Nun kommt ein Vogel zu ihm und sagt: «Zieh mir drei Federn aus und bewahre sie auf; wenn du in Not bist, reibe sie in der Hand, und dir wird geholfen!» Der Bursche zieht ihm drei Federn aus, steckt sie in den Sack und geht weiter.
Jetzt kommt er in einen dritten Wald, zu einer Hütte. Da drin lärmt und klopft es fürchterlich. Ganz neugierig öffnet er die Tür und geht hinein. Da sieht er Maurer, die Stück für Stück von einem Felsen wegmeisseln, aber vorne wächst der wieder hoch. Er wirft den Maurern sein Essen zu, aber diesmal kehrt es nicht mehr in seine Tasche zurück. Jetzt geht einer von den Maurern, mit einer schönen Krone auf dem Kopf, zum Burschen, gibt ihm einen Ring und sagt: «Nimm ihn und bewahr ihn auf; wenn du in Not bist, dann steck ihn an den Finger, und dir wird geholfen!»
Der Bursche nahm den Ring und ging zum König. Dort fragte er, was er tun müsse, um seine Tochter zur Frau zu bekommen. Der König zeigte ihm einen grossen See und sagte, der müsse bis morgen ganz trocken sein. «Ach!» dachte der Bursche, «das ist für mich etwas Unmögliches!» Er zerbrach sich den Kopf, wie das wohl zu machen sei.
Doch es fallen ihm die drei Haare des Löwen im Sack ein, er nimmt sie heraus und reibt sie in der Hand. Da kommen alle wilden Tiere herbei und trinken alles Wasser aus dem See. Jetzt war der König zufrieden mit dem Burschen. Dann zeigte der König ihm einen riesigen Haufen mit allerlei Sorten Getreide und befahl, er müsse bis zum nächsten Morgen die Körner getrennt haben. Das war wieder etwas, das dem Burschen Kopfzerbrechen machte. Doch es fallen ihm seine drei Federn ein; er nimmt sie heraus und reibt sie in der Hand. Darauf fliegen alle Vögel herbei und trennen bis zum andern Morgen alles Korn fein säuberlich. Das gefiel dem König.
Jetzt befahl der König dem Burschen, dass er an dem und dem Ort ein Schloss so und so bauen müsse, und zwar schon bis zum nächsten Tag. Das machte dem Burschen wieder Kopfzerbrechen. Zum Glück fällt ihm ein, dass er noch einen Ring bekommen hat, den er in der Not brauchen kann. Er nimmt ihn heraus und steckt ihn an den Finger. Darauf sind alle Maurer und auch der mit der Krone da. Sie fangen an, das Schloss zu bauen, wie der König es befohlen hat. Und am andern Morgen war es fertig. Der König stand auf, schaute aus dem Fenster und sah da das Schloss, viel schöner und grösser als seines. Schnell liess er den Burschen zu sich kommen und gab ihm seine Tochter, und der Bursche feierte eine prächtige Hochzeit mit ihr.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.