Nach einer alten Sage soll in den Zeiten, als die Römer in unserm Lande anfingen sich auszubreiten und bereits in dem alten Helikon sich niedergelassen hatten, ein Vornehmer dieses Volkes sich auf der Jagd in der hitzigen Verfolgung eines schönen Edelhirsches in den Schluchten der Sense von seinem Gefolge getrennt haben. Auf einmal stand er vor einem gewaltigen Sandfelsen, der damals im Bett der wilden Sense eine Insel bildete . Auf der Höhe desselben stand aber, gleichsam herausfordernd und wie ihm zum Hohne, der Gegenstand seiner Verfolgung. Schnell spornte er sein edles Pferd durch den Flussarm und suchte einen Zugang zum Felsen. Bald fand er einen Wechsel des Wildes, auf dem es zur Tränke zu gehen pflegte. Diesem folgend, fing er an, den Koloss zu erklettern. Noch war er nicht in halber Höhe, als ein gewaltiger Lindwurm aus einer Höhle auf ihn zustürzte. Aber mit kräftigem Arme stiess er dem Ungethüm den Jagdspeer in den Rachen und trennte darauf mit einem gewaltigen Hieb seines wuchtigen Schwertes den scheusslichen Kopf vom zuckenden Rumpfe. Hierauf erstieg er vollends die Felsinsel, um nach seiner eigentlichen Jagdbeute zu spähen. Zu seinem Erstaunen kam ihm aber der Hirsch selber entgegen, legte sich ihm zu Füssen und sah mit flehendem und zugleich dankbarem Auge zu ihm auf, als wolle er ihm für die Erlegung seines scheusslichen Nachbars danken und ihn zugleich um Schonung für sein Leben bitten. Der edle Ritter verstand den stummen und doch beredten Blick des Thieres, ließ sich rühren und schenkte ihm das Leben. Nun stand der Hirsch froh auf, ging dem Jäger voran und während er beständig zurücksah, ob sein Retter ihm folgte, führte er ihn auf dem ganzen Felsen herum. Der Römer nahm dieses als eine Einladung an, von diesem Felsen Besitz zu nehmen, und da ihm die romantische Lage desselben ausnehmend wohl gefiel, beschloss er, auf ihm ein Jagdschloss zu erbauen. Als er bald darauf nach Aventikum ging und dem dortigen Befehlhaber sein Abenteuer und seinen Entschluss mittheilte und zugleich die Bemerkung fallen liess, der Fels eigne sich vortrefflich zu einem Flusscastell, gab ihm jener sogleich Arbeiter mit und in kurzer Zeit war der Fels mit einem stattlichen Schloss gekrönt. Bald wurde auch der Weg, der Helikon mit Aventikum verbinden sollte, hier vorbeigeführt und beim Schlosse eine Brücke über die Sense gebaut, von der man jenseits noch jetzt die Reste des Satzes sieht. Das Schloss wurde nach seinem Gründer Crassusburg genannt. Eine kleine Besatzung hatte die Bestimmung, die vorbeiführende Strasse zu beschützen und in der schönen Jahreszeit diente die Burg des Crassus ihm als Jagdschloss, von der aus er seine Jagdausflüge in die wildreiche Umgebung machen konnte. Diese Sage bezieht sich nur auf den westlichen, grössern Theil des Schlosses; der östliche mit dem Thurm ist offenbar jüngern Datums, Bauart und Mauerwerk sprechen dafür. Von seiner Entstehung meldet die Tradition, es sei dieser Theil von einem welschen Raubritter erbaut worden, der, seiner Grausamkeit halber, aus seinem Heimatlande vertrieben, sich in diese einsame Gegend geflüchtet und da ein neues Raubnest habe gründen wollen. Zuerst habe er die alte, verfallene Römerburg durch fremde Baumeister und mit Hülfe hiesiger Handlanger und Arbeiter restaurieren lassen. Im Anfang habe er diese gut bezahlt und sich überhaupt in der Umgegend beliebt zu machen gewusst, weshalb man sich gern in seinen Schutz begeben. Aber kaum habe er einige Rechte auf die Bauern gehabt, sei seine Rohheit und Grausamkeit hervorgebrochen. Diese habe sich namentlich bei der Ausführung des zweiten Baues gezeigt. Die armen Landleute mussten die schweren Steine zu dem zweiten Gebäude auf ihren blutenden Schultern herbeitragen und wer Miene machte, sich zu widersetzen, der sei stracks erschlagen und sein Blut mit dem Mörtel der Maurer vermengt worden; daher seien die Mauern so fest.
Quelle: J. J. Jenzer, Heimathkunde des Amtes Schwarzenburg, Bern, 1869.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www. maerchen.ch