Früh, noch im Sternenschein, stieg ein Bauer hinauf zu den steilen Felsen der Neunenenfluh. Es war Zeit, das Wildheu einzubringen, eine mühsame und gefährliche Arbeit. Aber wie viele Tage würde das seine Kühe füttern! Kräftig begann er zu mähen.
Er mähte und mähte, ohne sich eine Rast zu gönnen. Die Sonne stieg immer höher und brannte auf seinen Rücken. Sie dörrte ihm das Gras und schon nach Mittag konnte er die ersten schweren Bündel nach unten in den Stafel bringen. Nach und nach setzten ihm die schwere Arbeit und die Hitze zu und seine Kräfte schwanden. Das Brot hatte er den Kindern zu Hause gelassen und Wasser fand er in den steilen Hängen keines. Nirgends rieselte ein Bächlein. Mit letzter Kraft schleppte er sich in eine nahe Schlucht, wo er ein Wässerlein vermutete. Aber was war das? In der Finsternis der Felsen glänzte es wie Sternenlicht. Der helle Schein kam immer näher. Da erkannte er ein Männchen, das ein goldenes Kännchen mit Wein trug. Hinter ihm trippelte ein Fräulein mit einer silbernen Schüssel voll Kuchen in den Händen. Beide waren prächtig gekleidet. Sie stellten ihre Gaben vor ihn hin: „Unser Meister schickt uns. Iss und trink!“ Der Heuer liess sich nicht lange bitten. Er hob das Kännchen an die Lippen. Aber soviel er auch trank, es wurde nicht leer. Auch die Schale mit dem Kuchen blieb voll, soviel er auch davon ass. Die geheimnisvolle Speise brachte ihm seine Kräfte zurück. „Habt grossen Dank ihr lieben Leutchen. Nun werde ich mein Tagwerk wohl vor Sonnenuntergang beenden können.“ Darauf kletterte der Bauer zurück in die steilen Flühe. Und während er gestärkt Bündel um Bündel hinunter trug, begleitete ihn ein liebliches Singen. Leicht fiel ihm die schwere, gefährliche Arbeit. Endlich hat er sein letztes Heu in der Hütte untergebracht. Da verstummte auch die Musik. Dankbar schaute er zurück zu den Flühen. Die beiden kleinen Gestalten waren verschwunden. Der Heuer wusste, Verschwiegenheit war jetzt gefragt; denn wer nicht schweigen kann, den fliehen sie. Niemandem hat er je von seinen Erlebnissen erzählt. Noch manches Jahr traf er die beiden auf der Neunenenfluh und das gefährliche Wildheuen wurde jedes Mal zu einem Fest.
Quelle: Nach einem Gedicht aus: J.J. Jenzer, Heimathkunde des Amtes Schwarzenburg, Bern, 1869.
Prosafassung nach einem Gedicht aus: Heimathkunde des Amtes Schwarzenburg. Bearbeitet von Anna Maria Läderach. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www. maerchen.ch