Graf Eberhard von Kyburg war von der hohen Schule von Bologna, wo er ein flottes Burschenleben geführt und viel Geld verbraucht hatte, das ihm sein geiziger Bruder Hartmann nicht gönnte, über das Gebirg nach seiner Stadt Thun zurückgekehrt. Er wollte sich mit seinem Bruder auseinandersetzen und sein väterliches Erbe herausverlangen. Hartmann aber brachte des erbosten Bruders Sache vor seine Mutter und ihre Räte, weil er wohl hoffen konnte, dass seine eigene Sache bei der Landgräfin, deren Liebling er war, nicht schlecht stehe. Statt aber Eberhard zu seinem Rechte zu verhelfen, überfiel Hartmann ihn des Nachts im Bette und liess ihn weitab in die Gefangenschaft schleppen. Als dann später der Herzog von Österreich den Streit geschlichtet und Eberhard frei geworden war, sollte zu Thun auf dem Schlosse die Versöhnung stattfinden. Die ganze Ritterschaft war zur Tafel eingeladen und der alte Zwist schien endlich ein gutes Ende zu nehmen. Nach Tisch aber, als die Brüder zusammen am Kamine sassen, gerieten sie wieder aneinander. Die ganze anwesende Ritterschaft nahm Partei und ein wüstes Getümmel erfolgte. Graf Hartmann wurde in den Schneggen (Wendeltreppe) gedrängt und im Tumult von einem der Ritter erstochen. Sein Leichnam aber wurde in den Schlosshof gestürzt.
Seitdem aber sind auf der Treppe im Schlossturm die Blutstropfen zu sehen und soviel man auch scheuert und putzt, sie sind nicht wegzubringen. Auch sollen seit dieser Zeit in Thun die schönsten Blutströpflein (eine Art Blumen) im Lande wachsen.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.